CONCERT REVIEW: Himmlische Klänge auf die Erde zurückgeholt

Himmlische Klänge auf die Erde zurückgeholt
Künftiger Chefdirigent Paavo Järvi beim hr-Funkkonzert
Von Klaus Ackermann
Offenbach Post, 13.02.2006

Der Neue scharrt nachhaltig mit den Hufen: Paavo Järvi designierter Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters, hat beim Funkkonzert in der Alten Oper stark beeindruckt. Ließ der Este doch anklingen, dass er von übergreifenden Schlagwort-Krücken - "Alle Musik ist im Innersten religiös" - offenbar nicht viel hält, indem er das Thema konterkarierte: Die 3. Sinfonie des für meditative Klänge empfänglichen Zeitgenossen Arvo Pärt hat Järvi ebenso sachlich durchformt, wie er Bruckners Dritte abseits des religiösen Überbaus auf ihren sinfonischen Gehalt überprüfte.

Sympathisch wie Järvi, Protagonist der mittleren Dirigenten-Generation, sich für seinen Landsmann Pärt einsetzt, der den kompositorischen Zeitgeist brüskiert, indem er die Wandlungsfähigkeit eines reinen Dreiklangs immer wieder aufs Neue nachweist. Mit Anleihen bei der Gregorianik und in choralartiger Strenge scheint da ein archaischer Kult wiederbelebt, von Järvi bis in die rabenschwarzen Blechbläser nahezu pathetisch ausgespielt. Dagegen werden klangliche Reibungen und Rückungen - vielleicht Hinweise aufs stinknormale Menschendasein - ausgesprochen trocken fixiert. Inklusive leuchtender Bläserinterludien, Streicher-Pizzikati und den sehnsüchtigen Glöckchen der Celesta, stets Accessoire des Pärt-Klangs. Hochmotiviert wirkt das hr-Sinfonieorchester - auch jener unerbittlich und schicksalhaft auftrumpfende Kesselpauker, der Järvis Absichten unterstreicht: Selbst das meditative, sakrale Element braucht die gewisse Theatralik. Und das beeindruckend hohlquintige Finale verweist schon auf den Bruckner nach der Pause.

Schließlich basieren die mächtigen Pfeiler eingangs der dritten Sinfonie d-Moll, allemal Wagner-Nähe atmend, ebenfalls auf diesem Intervall, von Järvi druckvoll eingerammt, der sich vor keinem dreifachen Fortissimo fürchtet. Umso durchsichtiger, ja geradezu klanglich schlank gerät Bruckners schwärmerische Idylle. Ob nun die behutsamen Veränderungen des Wagnerschen Tristan-Akkords (Bruckners nahezu devote Ehrerbietung belegend), der derbe Ländler im Scherzo oder das hymnische Finale sinfonischen Hochgefühls: Järvi lässt dies wie in schnellen Filmschnitten erleben, setzt freilich auch Zäsuren, als gelte es, Bruckners orchestrale Orgel jeweils neu zu registrieren.

Verblüffend, dass dennoch der innere Zusammenhalt dieser vier sinfonischen Sätze gewahrt wird. Von einem Orchester, das wie aus einem Guss spielt und die Bläserdominanz zu kultivieren versteht. Eher verhalten, immer sachdienlich und absolut konziliant ist dagegen Järvis Dirigat. Dass er dennoch "sein" Orchester knallen lässt, signalisiert intensive Probenarbeit - und verspricht eine spannende Konzertsaison.

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