CONCERT REVIEW: Der Sohn dirigiert eine dem Vater gewidmete Sinfonie im "Tintinnabuli"-Stil

Alte Oper: HR-Sinfonieorchester unter seinem künftigen Leiter Paavo Järvi / Sinfonien von Arvo Pärt und Anton Bruckner / Fast ein Antrittskonzer

Von Axel Zibulski
Wiesbadener Kurier, Vom 11.02.2006

FRANKFURT - Im Sommer dieses Jahres, zu Beginn der kommenden Konzertsaison, wird der aus Estland stammende Dirigent Paavo Järvi die Leitung des HR-Sinfonieorchesters übernehmen. Und er hat bereits angekündigt, dass die zeitgenössische Musik ebenso einen Schwerpunkt seiner Arbeit in Frankfurt bilden wird wie die Aufführung der Sinfonien Anton Bruckners und Gustav Mahlers. Daran gemessen hatte Järvis Gast-Dirigat beim HR-Sinfonieorchester fast den Charakter eines Antrittskonzerts: In der Alten Oper Frankfurt stellte er Arvo Pärts 1971 entstandene Sinfonie Nr. 3 der dritten Sinfonie von Anton Bruckner gegenüber.

Mit seinem Landsmann Arvo Pärt ist Paavo Järvi sozusagen familiär verbunden: Die dritte Sinfonie, in der der estnische Komponist seinen bis heute konsequent angewandten, auf spiritueller Dreiklang-Motivik beruhenden "Tintinnabuli"-Stil vorbereitet, ist Paavo Järvis Vater, dem Dirigenten Neeme Järvi, gewidmet. Dass auch der Sohn mit der gut 20 Minuten dauernden Sinfonie bestens vertraut ist, bewies er gemeinsam mit dem HR-Sinfonieorchester. Noch die filigransten motivischen Wiederholungen der Streicher waren prägnant und plastisch geformt, die wenigen dynamischen Ausbrüche aus dem meditativen Urgrund der Musik Pärts klanglich scharfkantig und exakt herausgearbeitet: Man darf gespannt sein auf sicherlich folgende, weitere Pärt-Interpretationen Järvis in Frankfurt.

"Alle Musik ist im Innersten religiös": Das Motto des Konzerts galt für die spirituelle Tonsprache Pärts gewiss nicht weniger als für die dritte Sinfonie Anton Bruckners, der bekanntlich seine letzte, die neunte Sinfonie sogar "dem lieben Gott" gewidmet hat. An quasi-religiöse Verehrung erinnert auch sein devotes Verhalten gegenüber Richard Wagner, dem Widmungsträger der dritten Sinfonie.

Järvi dirigierte sie in Frankfurt in der vom Komponisten deutlich gestrafften Drittfassung aus dem Jahr 1889, in der Bruckner auch sämtliche Wagner-Zitate der Urfassung gestrichen hatte: Järvis Wahl dieser überarbeiteten Version bedeutet beim HR durchaus einen kleinen Traditionsbruch. Noch Eliahu Inbal, bis 1990 Chefdirigent, hatte sich seinerzeit fast pionierhaft für Bruckners Urfassungen eingesetzt. Järvis klanglich eher geschmeidig-verbindliche, weniger das Registerhafte der Komposition berücksichtigende Deutung mochte dabei Geschmackssache sein: Die vorzüglichen Blechbläser des HR-Orchesters, aber auch gelungene Einzelmomente wie das fast wienerisch leicht vorantänzelnde Trio des Scherzos jedenfalls waren Pluspunkte dieser mit freundlichem Applaus gewürdigten Bruckner-Interpretation.

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