CONCERT REVIEW: Mit und ohne Ölfarbe
Mit und ohne Ölfarbe
Das hr-Sinfonieorchester unter Paavo Järvi mit Bruckner und Pärt
Von HANS-JÜRGEN LINKE
Frankfurter Rundschau, 14.02.2006
"Alle Musik ist im Innersten religiös"? Einspruch! Auch die Gegenthese von der Weltlichkeit aller Musik wäre gut begründbar, und beide zusammen könnten Ausgangspunkte sein für einen Blick aufs Ganze. Warum nicht, wie jetzt mit dem hr-Sinfonieorchester unter seinem künftigen Chefdirigenten Paavo Järvi, anhand von zwei dritten Sinfonien, zwischen denen fast ein Jahrhundert liegt?
Arvo Pärt und Anton Bruckner verfolg(t)en zutiefst unterschiedliche Kompositionsstrategien. Während Bruckners Dritte als weitläufiges, pastoses Landschaftsgemälde erscheint, kommt Pärts 1971 entstandene Komposition eher reduktionistisch daher. Sie verzichtet auf Ölfarben und Blattgold ebenso weitgehend wie auf zeittypische Kompositionstechniken, bescheidet sich in klaren, zuweilen liturgischen oder choralartigen Klanggesten, einer harmonisch aufgefassten Spiritualität und verortet sich in einem feinen Netz von Zitaten und Anklängen im Kontext nordischer Musik, zu der sowohl Rachmaninow wie Sibelius gehören.
Eine Serie klanglicher Einzelfälle
Paavo Järvi legt vor allem Wert auf Differenzierung. Er behandelt die Sinfonie als Abfolge von Miniaturen, die wie klangliche Einzelfälle modelliert werden. Schrittweise entsteht ein Patchwork von dramatischen, naiven, pathetischen, formstrengen Augenblicken, die immer wieder über sich hinaus zu weisen scheinen, so dass nach und nach ein Zusammenhang erkennbar wird. Ob das die These von der Religiosität stützt?
Wenn Pärts Musik einem spirituell ausgerichteten, historisch reflektierten Protestantismus entspräche, dann wäre Bruckner ganz und gar katholisch: Der Bilderreichtum seiner Klangwelt, die mystischen Weihrauchschwaden, die wie Nebelbänke durch die Sinfonie ziehen, legen diese Assoziation nahe. Andererseits weist Järvis Interpretation ständig auf die Architektur dieser Sinfonie hin. Sie ist nicht aus bogenförmigen Spannungsverläufen gearbeitet, sondern aus fast linear verlaufenden Komponenten. Stets ordnet sich die Musik in der Dynamik eines fein dosierten Crescendo, bei dem schon in den ersten Steigerungsmomenten der Blick auf die Spitze frei ist, die dann auch konsequent angesteuert wird. Järvi geht die Sache mit forschem Tempo an, ohne allerdings Bruckners sinfonische Landschaft eilig zu durchschreiten: Immer wieder schafft er Momente des intensiven Besinnens und Verharrens in erstaunlichen klanglichen Situationen, bevor der Gipfelsturm erneut in Angriff genommen wird.
Die Architektur dieser Musik wäre die einer gotischen Kathedrale, die ganz darauf ausgerichtet ist, den Blick immer wieder in die Vertikale nach oben zu ziehen und aus diesen Verlaufsformen ein Ensemble aus vielfältig sich variierender Gleichförmigkeit bildet. Harmonie und Dynamik sind die beiden zentralen Konstruktionselemente einer Klangwelt, die das hr-Sinfonieorchester wiederum eindrucksvoll zu gestalten vermochte und damit einmal mehr einen Anlass lieferte, sich auf den künftigen Chefdirigenten zu freuen. Bevor dann im nächsten Konzert Hugh Wolff seinen Hörern den Abschied schwer machen wird.
© Frankfurter Rundschau online 2006
Das hr-Sinfonieorchester unter Paavo Järvi mit Bruckner und Pärt
Von HANS-JÜRGEN LINKE
Frankfurter Rundschau, 14.02.2006
"Alle Musik ist im Innersten religiös"? Einspruch! Auch die Gegenthese von der Weltlichkeit aller Musik wäre gut begründbar, und beide zusammen könnten Ausgangspunkte sein für einen Blick aufs Ganze. Warum nicht, wie jetzt mit dem hr-Sinfonieorchester unter seinem künftigen Chefdirigenten Paavo Järvi, anhand von zwei dritten Sinfonien, zwischen denen fast ein Jahrhundert liegt?
Arvo Pärt und Anton Bruckner verfolg(t)en zutiefst unterschiedliche Kompositionsstrategien. Während Bruckners Dritte als weitläufiges, pastoses Landschaftsgemälde erscheint, kommt Pärts 1971 entstandene Komposition eher reduktionistisch daher. Sie verzichtet auf Ölfarben und Blattgold ebenso weitgehend wie auf zeittypische Kompositionstechniken, bescheidet sich in klaren, zuweilen liturgischen oder choralartigen Klanggesten, einer harmonisch aufgefassten Spiritualität und verortet sich in einem feinen Netz von Zitaten und Anklängen im Kontext nordischer Musik, zu der sowohl Rachmaninow wie Sibelius gehören.
Eine Serie klanglicher Einzelfälle
Paavo Järvi legt vor allem Wert auf Differenzierung. Er behandelt die Sinfonie als Abfolge von Miniaturen, die wie klangliche Einzelfälle modelliert werden. Schrittweise entsteht ein Patchwork von dramatischen, naiven, pathetischen, formstrengen Augenblicken, die immer wieder über sich hinaus zu weisen scheinen, so dass nach und nach ein Zusammenhang erkennbar wird. Ob das die These von der Religiosität stützt?
Wenn Pärts Musik einem spirituell ausgerichteten, historisch reflektierten Protestantismus entspräche, dann wäre Bruckner ganz und gar katholisch: Der Bilderreichtum seiner Klangwelt, die mystischen Weihrauchschwaden, die wie Nebelbänke durch die Sinfonie ziehen, legen diese Assoziation nahe. Andererseits weist Järvis Interpretation ständig auf die Architektur dieser Sinfonie hin. Sie ist nicht aus bogenförmigen Spannungsverläufen gearbeitet, sondern aus fast linear verlaufenden Komponenten. Stets ordnet sich die Musik in der Dynamik eines fein dosierten Crescendo, bei dem schon in den ersten Steigerungsmomenten der Blick auf die Spitze frei ist, die dann auch konsequent angesteuert wird. Järvi geht die Sache mit forschem Tempo an, ohne allerdings Bruckners sinfonische Landschaft eilig zu durchschreiten: Immer wieder schafft er Momente des intensiven Besinnens und Verharrens in erstaunlichen klanglichen Situationen, bevor der Gipfelsturm erneut in Angriff genommen wird.
Die Architektur dieser Musik wäre die einer gotischen Kathedrale, die ganz darauf ausgerichtet ist, den Blick immer wieder in die Vertikale nach oben zu ziehen und aus diesen Verlaufsformen ein Ensemble aus vielfältig sich variierender Gleichförmigkeit bildet. Harmonie und Dynamik sind die beiden zentralen Konstruktionselemente einer Klangwelt, die das hr-Sinfonieorchester wiederum eindrucksvoll zu gestalten vermochte und damit einmal mehr einen Anlass lieferte, sich auf den künftigen Chefdirigenten zu freuen. Bevor dann im nächsten Konzert Hugh Wolff seinen Hörern den Abschied schwer machen wird.
© Frankfurter Rundschau online 2006
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