Paavo Järvi: Bruckner mit neuen Akzenten

Die Presse.com
Walter Dobner
09.10.2011

Der estnische Dirigent überraschte vor allem mit dem Scherzo in Bruckners Achter. Järvi wäre nicht Järvi, würde er nicht für neue Akzente sorgen.
Paavo Järvi / Bild: (c) EPA (Ingo Wagner
Dass sich Väter und Söhne zur gleichen Profession hingezogen fühlen, ist häufig, dass sie im selben Metier international reüssieren, eher selten. Die Järvis sind ein solches Beispiel. Neene Järvi, vielfach in den USA tätig, hat sich vor allem mit nordischer Musik einen Namen gemacht. Seine beiden Söhne kamen schon in jungen Jahren an die Spitze europäischer Orchester: Der jüngere, Kristjan, zuletzt Chefdirigent des Tonkünstlerorchesters Niederösterreich, wechselt 2012 zum MDR Sinfonieorchester Leipzig. Noch erfolgreicher ist sein älterer Bruder, Paavo, Künstlerischer Leiter der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, des Orchestre de Paris und seit 2006 des hr-Sinfonieorchesters, besser bekannt unter seinem früheren Namen: RSO Frankfurt. Es hat unter einem früheren Chefdirigent, Eliahu Inbal, vor Jahren einen viel beachteten Bruckner-Zyklus eingespielt.

Mit Bruckner bestritten die Frankfurter auch dieses Gastspiel im Musikverein für die musikalische Jugend: mit seiner Achten in der meist zu hörenden zweiten Fassung. Wenigstens nach dem ersten Satz, den Järvi ruhig disponierte, dabei stets auf höchste Transparenz achtete, schien es eine der üblichen Interpretationen zu werden. Fernab jeden Weihrauchs, betont strukturell.

Rhythmischer Elan

Aber Järvi wäre nicht Järvi, würde er – wie bei seinen durchaus unterschiedlich beurteilten Beethoven-Interpretationen – nicht für neue Akzente sorgen. Diesmal überraschte er mit seiner Sicht des zweiten Satzes, eines Scherzos, das er mit einem kaum je so gehörten rhythmischen Elan und viel Gespür für die verflochtenen melodischen Linien packend präsentierte. Nicht ganz so überzeugend gelangen die Übergänge im betont ruhig genommenen langsamen Satz, der zwischendurch an Spannung eingebüßt hat.

Durchsichtigkeit und strukturelle Klarheit bestimmten auch Järvis Deutung des Finales dieser c-Moll-Symphonie: Impulsiv stürzte er sich in den Beginn, baute souverän die Steigerungen auf, zeigte in vielen Details, wie penibel er mit seinem Orchester, das sich im Blech flexibler als bei den Holzbläsern erwies, auch bei den Streicher einiges an Glanz vermissen ließ, gearbeitet hatte. Die Unmittelbarkeit und Frische, die er mit seiner unkonventionellen Sicht des Scherzos geboten hatte, erreichte er in diesem effektvoll gesteigerten Schlusssatz nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2011)

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