Von der Kammerphilharmonie lernen heißt siegen lernen
Hamburgen Abendblatt
12/12/2013
Anrührend: Paavo Järvi am Pult, Viktoria Mullova an der Violine
12/12/2013
Anrührend: Paavo Järvi am Pult, Viktoria Mullova an der Violine
Hamburg. Krise? Welche Krise? Wer am
Donnerstagabend das Publikum im randvollen Saal der großen Laeiszhalle
jubeln und feiern erlebt hat wie bei einem Rockkonzert, dem könnten das
mantraartige Reden über Publikumsschwund und Nachwuchssorgen bei
klassischen Konzerten glatt überflüssig vorkommen. Ebenso wie all die
Symposien und Forschungszweige zu dem schönen Feld der Musikvermittlung.
Die Deutsche Kammerphilharmonie, derzeit Residenzorchester bei den
Elbphilharmonie Konzerten, kam, spielte und siegte auf ganzer Linie.
Das leicht militärisch angehauchte
Bild passt in diesem Fall zum Programm. Denn das drehte sich, ohne dass
sich das in den Werktiteln niedergeschlagen hätte, um persönliche und
kollektive Kämpfe, um politisch motivierte Tragödien. Dass der
stürmische Beginn von Beethovens "Fidelio"-Ouvertüre etwas wackelte und
die Hörner ihren ersten leisen, hohen Einsatz verkicksten, war vor
lauter Spannung spätestens ab Takt sieben vergessen. Paavo Järvi formte
das kurze Stück zu einem einzigen Fanal; die ganze Oper schien Platz zu
haben in den scharfkantigen Phrasen, den jähen dramatischen Wendungen
und den unvermutet wie Waldlichtungen aufscheinenden lyrischen Passagen.
Die erschütternde Antwort auf
Beethovens kristallines E-Dur gab Viktoria Mullova als Solistin des
ersten Violinkonzerts von Schostakowitsch. Mullovas herber Zugriff war
wie geschaffen für das Werk ihres Landsmanns, in dem dieser die
seelischen Erfahrungen politischer Repression verarbeitet hatte. Mullova
kehrte das Sprachliche, das Strenge an der Musik heraus. So mühelos sie
den rhythmisch komplexen, haarsträubend virtuosen Part auch
beherrschte, Lockerheit wäre um des Ausdrucks willen fehl am Platz
gewesen. Gerade bei dieser sonst zurückhaltenden Geigerin wirkte die
Wärme ihres Tons um so anrührender. Fast war es dem Hörer, als
belauschte er ein Gespräch, so haarfein, geradezu intim, reagierten
Orchester und Solistin aufeinander.
In Beethovens Siebter nach der
Pause entwickelten die Steigerungen eine solche Kraft, als würden sie
das Publikum aufsaugen und auf Sturmes Schwingen davontragen. Berückende
Tanzrhythmen und todesfahle Klangflächen wechselten jäh ab. Verblüffend
die expressionistischen Farben der Bläser, verblüffend auch, wie eine
pieksaubere Intonation die Obertöne des doch eher klein besetzten
Streicherapparats befeuerte und den Klang zur Kathedrale anwachsen ließ.
Den zweiten Satz, einen Trauermarsch, nahm Järvi im vorgeschriebenen
Allegretto-Tempo, gänzlich unsentimental und gerade darum so ergreifend.
Es bleibt ein Rätsel, wie
dieses Ensemble mit diesem Dirigenten es fertigbringt, immer wieder so
zu spielen, als hinge davon das ganze Leben ab, und seine Hörer
unfehlbar auf die Stuhlkante zu fesseln. Womöglich ist diese Energie das
Geheimnis seines weltweiten Erfolgs. Solange wir Musiker mit einem
solchen Berufsethos haben, braucht uns um die Zukunft der klassischen
Musik jedenfalls nicht bange zu sein.
http://www.abendblatt.de/kultur-live/article123190978/Von-der-Kammerphilharmonie-lernen-heisst-siegen-lernen.html
Comments