Solistischer Drahtseilakt

Op-online
Klaus Ackermann
14/12/2013

Britte Isserlis beim hr-Sinfoniekonzert

Frankfurt - Viele halten es für unspielbar, was den Briten Steven Isserlis erst recht zu reizen scheint, der bei Sergej Prokofjews Cellokonzert op. 58 eine außerordentlich hohe Trefferquote hat. 
Das war ebenso spannend zu erleben wie der Rest des Konzerts in der Alten Oper, bei dem Paavo Järvi, „Conductor Laureate“ des hr-Sinfonieorchesters, programmatisch Neuland betrat. Neben dem in Frankfurt arg vernachlässigten Hanauer Paul Hindemith kam noch der Finne Jean Sibelius zu gutem Ton.
Schon die szenisch so plastische „Tuttifäntchen-Suite“ von Hindemith um eine kesse Holzpuppe, die viel Ähnlichkeit mit dem Kinderfreund Pinocchio hat, bringt es an den Tag - keiner hat die hr-Sinfoniker so im Griff wie der Ex-Chefdirigent, der die Weihnachtsmärchen-Musik des jungen Hindemith nahezu bildhaft und immer augenzwinkernd ausbreitet. Sie bewegt sich zwischen ausgeziertem Volkslied, Zinnsoldaten-Parade, wiegendem Dreiviertel-Takt und einem Foxtrott, dem das hr-Orchester als Edel-Tanzkapelle sogar zünftigen Swing andient.
In feiner Ironie scheint der moderne Klassiker seelenverwandt mit dem russischen Zeitgenossen Prokofjew, der diese freilich gern ins Sarkastische steigert. Auch in seinem Cellokonzert, das Isserlis in der zwischen 1933 und 1938 entstandenen Urfassung vorstellt. Nach klanglich breiter spätromantischer Intro fallen eine hart hämmernde Maschinenmusik und jene eigentümlichen Orchestermixturen auf, die einen makabren Tanz der Skelette assoziieren.
Allen voran der unglaublich perfekt aufspielende Brite, dem keine motorische Phrase schnell genug sein kann, der in den Variationen das süffige Thema virtuos zerpflückt, in einen von Streicher-Schleiern überzogenen Marsch überführt, der zudem die punktgenauen Holz- und Blechbläser mobilisiert. Und immer ist da ein unbändiger gestalterischer Druck, den der Solist schon mit starker Körpersprache erzeugt. Doch das höllische Szenario hat auch himmlische Töne im reinen Flageolett. Ein solistischer Drahtseilakt, gleichsam mit finalem Salto - kein Wunder, dass die Zugabe, Prokofjews „Music for Children“, so schlicht wie eingängig daherkommt.
Für Järvi gehören erklärtermaßen die Sibelius-Sinfonien Nr. 6 und 7 mit ihren großen Spannungsfeldern zusammen. Tatsächlich könnte die etwas kürzere, pausenlos zu spielende Siebte (und Letzte) in Form und Faktur sogar das Finale der vorausgegangenen 6. Sinfonie sein. Denn zwischen Adagio-Einleitung und Schluss fließt auch hier ein breiter Klangstrom, den Järvi und die hr-Sinfoniker zu kanalisieren verstehen, dabei noch Detailansichten fixierend wie im Scherzo, das ein punktierter Rhythmus in eigentümlicher Schwebe hält. Das ist Klangprosa im besten Sinne, die zu flüstern versteht, aber auch saust und braust wie eine orchestrale Windmaschine.
Beide Sinfonien ergeben eine Spielzeit von 50minütiger Dauer... Die bei Järvi und den hr-Sinfonikern indes erstaunlich schnell vergeht!
http://www.op-online.de/freizeit/musik/britte-isserlis-beim-hr-sinfoniekonzert-frankfurt-3271588.html

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