Transparenz ohne Verlust

kreiszeitung.de
Ute Schalz-Laurenze
11.04.18

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© Baier

Manches an diesem Konzert im Bremer Dom ist anders: Helfer laufen mit Plakaten umher, auf denen Dinge stehen wie „Nordschiff“ oder „Südschiff“. Bedeutet das, dass viele Konzertbesucher von Johannes Brahms‘ „Ein deutsches Requiem“ den Dom als Konzertort noch gar nicht kennen?
Dann hätten sie schon viel verpasst, so gut und innovativ sind die verschiedenen Musikzyklen. Dass am vergangenen Karfreitag Tobias Gravenhorst mit dem Domchor dasselbe Werk aufführte, war allerdings keine sonderlich glückliche Planung.

Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, die sich mit ihrem Leiter Paavo Järvi seit einigen Jahren intensiv mit dem Werk von Brahms beschäftigt, lässt es sich am Dienstag nicht nehmen, eins der größten Werke des Komponisten am Ort seiner triumphalen Uraufführung zu präsentieren, 150 Jahre zuvor, am 10. April 1868, unter der Leitung des Komponisten.

Vor der Uraufführung hatte jener an den Domorganisten Carl Reinthaler geschrieben: „Ich wünsche herzlich, die Bremer mögen den Eifer behalten. Gestehen will ich, sie bewundern zu müssen, wenn wir in der Karwoche recht vergnügt sein können. Mein Werk ist doch recht schwer, und in Bremen geht man doch bedächtiger zum hohen A hinauf als in Wien.“ Brahms hatte mit seiner Voraufführung in Wien unsäglichen Schiffbruch erlitten.

Empore einfach zu klein für die Besetzung

Am Dienstag ist die Empore zu klein für die große Orchester- und Chorbesetzung, zudem gab es einige raumgreifende Präparationen für einen Mitschnitt von 3sat. Es ist eine große Aufführung, die der Lettische Staatschor „Latvija“, das Orchester und die Solisten Valentina Farcas und besonders der stimmstarke Matthias Goerne vollbringen. Es ist keine Neuigkeit, dass Paavo Järvi für strukturelle Transparenz sorgt, ohne emotionale Verluste bei den großen Crescendi.

Die Spanne zwischen fast nicht mehr hörbaren Pianissimi und gewaltigem Fortissimo ist beträchtlich und geht unter die Haut. Gerne möchte man da die Worte des Theologen Julius Schubring wiederholen: „Musik von unbeschreiblicher Neuheit”. Der wie aus einer unbekannten Ferne mit dunkler Wärme kommende Anfang, die gedämpften, durch die dreifach geteilten Violinen, geheimnisvollen Klangfarben des zweiten Satzes, mit dem das Naturbild „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras” gezeichnet wird: Dunkle Wärme ist der Effekt.

Diese auch unheimliche Fahlheit lässt den Mittelteil („So seid nun geduldig“) mit Flöte und Harfe nur um so deutlicher hervortreten. Ergreifend klar erklingt die Fuge des sechsten Satzes „Herr, Du bist würdig”. Darüber gelingt ein komplexes Ineinandergreifen von Trost und Schrecken, von freudigem Pathos und Rückzug in die Innerlichkeit.

Der profunde Bibelkenner Brahms schuf aus den Texten des Alten Testaments ein protestantisches Gegenmodell zur katholischen Totenmesse, dessen Trost die Aufführung wunderbar vermittelt. Die Wirkung der Uraufführung sei „überwältigend” gewesen, schrieb Brahms‘ Oldenburger Freund Albert Dietrich. So nun auch diese Aufführung.

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