Lieder aus tiefster Seele

abendblatt.de
Florian Zinnecker
16.04.2018

Bariton Matthias Goerne und die Kammerphilharmonie Bremen im Großen Saal

Hamburg. Mit Franz Schubert, sagt der Bariton Matthias Goerne im Programmheft, könne man den ganzen Menschen erklären. Und das ist zum Glück der einzige Trugschluss an diesem Abend: dass es beim Gastspiel der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, mit Paavo Järvi am Pult und Matthias Goerne als Solist im Großen Saal der Elbphilharmonie, doch auch nur wieder darum geht, irgendwas zu erklären. Als wäre mit einem der derzeit besten und spannendsten Klangkörper und dazu einem Sänger, von dessen Möglichkeiten später noch ausführlich die Rede sein wird, nicht mehr als nur das möglich.

Aber, zum Glück – dass sie keineswegs die Absicht haben, sich damit zu begnügen, machen die Musiker schon in der "Rosamunde"-Ouvertüre deutlich und hören bis zum Ende der Sinfonie Nr. 4 nicht auf damit. Werke, bei denen das Wiederhören an diesem Abend tatsächlich einer Neuentdeckung gleichkommt.

Ähnliches gelingt auch Goerne zwischen den beiden Orchesterstücken: mit sechs Schubert-Liedern in Orchesterbearbeitung. Goernes Qualität zeigt sich nicht nur darin, wie er singt, sondern auch darin, wie er nicht singt, nämlich: Er stellt sich nicht als Träger seiner Stimme auf die Bühne, fährt dann seine Stimme aus und führt die Lieder nach­einander vor, als wären es emotionale Turnübungen. Er lässt sich selbst aber auch nicht völlig in den Tönen verschwinden. Sondern: Er singt, als sänge er sich selbst etwas von der Seele. Jeder Ton ist ihm ein Bedürfnis, und es gibt nur wenige Passagen, in denen das Bild bricht, weil die von Schubert komponierten Töne ihm dann doch ein wenig zu unbequem und zu hoch liegen. Und auch das ihm eigene Kratzen, diese leichte Rauheit, von der man nie so genau weiß, ob sie so gewollt oder einfach so gewachsen ist: Sie fügt sich gut ein ins Klangbild, weil die Töne nicht strahlen, sondern beschlagen wirken – mit einer Patina, die sie eher noch edel macht und auch in die Stille zwischen den Liedern hinein wirken lässt.

Apropos Stille: Die Elbphilharmonie hat nun ein Machtwort gesprochen, es steht im Programmheft, gleich unter dem Spielzettel für den Abend: "Wir bitten Sie, nicht zwischen den einzelnen Sätzen und Liedern zu applaudieren." Es war im bisherigen Konzertbetrieb wegen überraschenden Applauses ja immer wieder zu Irritationen gekommen, deshalb lautet die Bitte jetzt auch in diesem Haus, das den Rahmen des Mög­lichen ausdrücklich neu ausloten will: Bitte so wie bisher und überall sonst. Aber gerade bei diesen Musikern, denen das frisch zubereitete Gefühl so viel mehr gilt als die Konserve, hätte man doch gern auch zwischen den Sätzen geklatscht.

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