Berliner Philharmoniker unter Paavo Järvi mit Janine Jansen

rbb-online.de
Andreas Göbel
10.10.2019

Ein Konzert der Extreme: Janine Jansen steigert Tschaikowskys Violinkonzert in die Extreme. Paavo Järvi sorgt für Entschlackung und setzt die großen romantischen Brocken wohltuend auf Diät.

Janine Jansen und das gewaltige Violinkonzert von Peter Tschaikowsky – da nimmt die Geigerin nichts leicht, kein einziger Ton ist einfach nur so da. Und selbst wenn sie sich mal zurücknimmt, dann nur, um gleich mit doppelter Energie voraus zu stürmen.

Das überträgt sich auch sofort auf das Publikum. Was man bei einem Abonnementkonzert bei den Philharmonikern so gut wie nie erlebt – hier wurde schon nach dem ersten Satz applaudiert. Und nach dem Starkstrom-Finale gab es sogar Ansätze von stehenden Ovationen.

Katzenartige Biegsamkeit

Janine Jansen interpretiert Tschaikowsky jenseits des allzu bekannten Virtuosenkonzerts, nicht als technischer Marathonlauf mit schwelgerischen Melodien. Sie nimmt die Musik als ständige Geste. Gleich am Beginn die endlose Linie ist von geradezu katzenartiger Biegsamkeit, die einzelnen Töne fast klebrig miteinander verbunden.

Da gibt es wahnwitzigen Furor, aber auch untertourte Stellen, bei denen man Angst hat, ob der Ton überhaupt anspricht. Das Risiko geht sie bewusst ein. Entspannung gibt es bei ihr nicht einmal im langsamen Satz. Sie opfert den Melodiker Tschaikowsky, gewinnt aber dadurch eine Aufmerksamkeit, die das Emotionale noch einmal ganz neu erlebbar macht. Das ist nichts zum Zurücklehnen, sondern zum Mitfiebern. Beeindruckend.

Paavo der Fels

Violine und Orchester – das war hier ein bisweilen köstlicher Kontrast. Janine Jansen ist in ständiger Bewegung, auch körperlich. Und einen halben Meter entfernt steht der Dirigent Paavo Järvi auf seinem Pult und hält das Orchester betont lässig mit knappsten Bewegungen zusammen.

Das allerdings genügt völlig als Ausgleich: Hier gibt es die schönen Melodien, die das Konzert zweifelsohne auch besitzt. Paavo Järvi ist der Fels in der Brandung, an dem sich Janine Jansen festhalten kann. Sie kann sich auch nur deswegen die ganzen Freiheiten erlauben, weil er ihr dafür die notwendige Sicherheit gibt.

Raus aus der Kitschecke

Jean Sibelius‘ letztes großes Orchesterwerk, die Tondichtung „Tapiola“, führt tief hinein in die finnische Mythologie zum Wohnsitz des Waldgottes Tapio. Der Komponist hat sich stets vehement dagegen verwahrt, hier einfach Naturkitsch komponiert zu haben. Und hat Paavo Järvi ganz auf seiner Seite.

Klar und markant durchleuchtet er das ganze Geflecht, bietet feinstes Funkeln mit den Berliner Philharmonikern, aber komplett unsentimental mit wuchtigen, allerdings gut abgefederten Akzenten. Am Ende war das Publikum von dieser geheimnisvollen Musik spürbar fasziniert. Tiefe Stille als Ausklang – bis diese durch zwei laute Nieser beendet wurde.


Schumann auf Diät

Die Nörgeleien über Robert Schumanns angeblich schlechte Instrumentierungen wollen nicht abreißen. Der Orchestersatz angeblich undifferenziert und platt wie ein Kuhfladen. Paavo Järvi hat jetzt endgültig gezeigt: stimmt nicht. Man muss Schumann nur so aufführen, als wäre es für ein Kammerorchester gedacht, weniger pauschal, mehr Kommunikation der einzelnen Stimmen und Gruppen.

Der Ansatz mit der „Rheinischen“ geht auf. Das ist schon mal mindestens zehn Kilo leichter. Schöne Raumeffekte lassen Schwerpunkte durch das Orchester wandern. Große Flächen, strahlendes Geschmetter, aber auch intime Stellen, bei denen der Große Saal der Philharmonie zu einem kuscheligen Wohnzimmer wird. Im Ergebnis ist man allerdings nicht ganz fertig geworden. Eine Probe mehr hätte geholfen. Vieles war nicht zusammen, und Järvis raffiniert ausgeklügelte Tempomodifikationen waren noch nicht von wirklich allen im Orchester verinnerlicht. Aber offensichtlich spielen die Philharmoniker ihre Programme meistens dreimal, damit es dann am zweiten und dritten Abend umso schöner wird …

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