Frischzellenkur für Brahms mit Paavo Järvi

Die Presse.com
29.05.2011

Pianist Leif Ove Andsnes brilliert mit dem Zweiten Klavierkonzert im Wiener Musikverein. Getrübt hat den Eindruck allerdings das Andante.

Eigentlich sei das ja gar kein Klavierkonzert, sondern eine Symphonie mit obligatem Klavier. Seit der legendäre Musikkritiker Eduard Hanslick diesen Satz über das zweite Klavierkonzert des von ihm hoch geschätzten Johannes Brahms geschrieben hat, kann über den Giftgehalt des Diktums gerätselt werden. Es wurde jedenfalls bisweilen in wenig schmeichelhafter Absicht verwendet.

Der größte Fehler für Interpreten wäre es allerdings, es ganz wörtlich zu nehmen. Freilich hat Brahms auf eine zuvor nicht gekannte Weise Solo- und Orchesterpart verwoben, doch dahinter liegt ohne Zweifel ein lupenreines Solistenkonzert. Die Aufgabe vor allem des Dirigenten ist es, dies klar herauszupräparieren. Und genau das hat Paavo Järvi am Pult seines „Orchestre de Paris“ am Samstagabend im Wiener Musikverein dankenswerterweise auch getan.

Dass Järvi, wie man in Wien zuletzt an seinen Beethoven-Interpretationen hören konnte, einen eher erdigen, um nicht zu sagen ruppigen Zugriff schätzt, ist da kein Schaden – zumal der flauschige Klang des französischen Orchesters schon dafür sorgte, dass daraus keine Romantik ohne Romantik wurde. So viel Pathos wie nötig, so wenig wie möglich – dies ist bei Brahms immer die Gratwanderung. Hier gelang sie, wobei der norwegische Pianist Leif Ove Andsnes sich mit seinem auch im Forte schlanken und immer sachlichen Klang perfekt einfügte. Die enormen technischen Herausforderungen bewältigte er auf geradezu spielerische Weise, auch dort, wo Brahms den Händen eine enorme Spannweite abverlangt, klang es völlig unangestrengt – und sah auch so aus.

Musikalische Prosa statt Poesie

Getrübt hat den Eindruck allerdings das Andante: Von drei Allegro-Sätzen umrahmt sollte es eigentlich den Ruhepunkt bieten, von dem aus das überschäumende Finale abhebt. Järvi nahm das Tempo etwas zu zügig und ließ das Cello seine tragende Melodie mit zu viel Energie aufladen. Wo etwa ein Claudio Abbado zauberhaft poetische Parallelwelten evozierte, blieb hier alles Prosa. Zu spät erst kam der Satz zur Ruhe.

Auch mit dem langsamen Satz von Dvořaks abschließender Symphonie Nr. 7 – ein beliebtes Tourneestück – war Järvi kein Glück beschieden: Die Puzzlestücke des reichhaltigen Adagio wollten sich zu keinem organischen Bild fügen. Volle Entschädigung bot dafür das Scherzo, das man selten tänzerisch-duftiger gehört hat als von dem Pariser Klangkörper. Parlez-vous Dvořak? Mais oui! hd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2011)

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