Paavo Järvis hr-Sinfoniker eröffneten das Rheingau Musik Festival: Magische Momente

OP-online.de
27.06.2011

Eberbach - Für Mahler ist Paavo Järvi der richtige Mann. Schafft der Chefdirigent doch mit scharfem Blick auf Gegebenheiten einen hohen konzertanten Erlebniswert. Und kann sich zudem auf ein hr-Sinfonieorchester verlassen, das seine Vorgaben traumhaft sicher umsetzt. Von Klaus Ackermann


Der klanglichen Moderne verpflichtet: Mezzosopranistin Elina Garanca und Paavo Järvi in Kloster Eberbach Foto: RMF/Klostermann

Mit Mahlers Fünfter sorgte Järvi für magische Momente in der Basilika des ehemaligen Zisterzienser-Klosters Eberbach. Ein fesselnder Auftakt des Rheingau Musik Festivals, dem der lettische Weltstar Elina Garanca mit Orchesterliedern von Alban Berg die besondere Note gab.

In geheimste innere Bezirke geleiten die „Sieben frühen Lieder“ des Schönberg-Schülers Alban Berg auf Lyrik von Storm, Hauptmann, Rilke und Lenau (neben anderen mehr), die Natur als Gleichnis für seelische Befindlichkeiten. Nach düsterer Nachtstimmung, nach märchenhaftem Gesang am Schilfgestade und einem dramatisch mit grellen Spitzentönen gesteigerten Melodram wird die Macht der Liebe facettenreich und empfindsam beschworen. Dabei versteht es Garancas makelloser Mezzosopran, auch im starken, stimmlich vielfältig kanalisierten orchestralen Strom den intimen Charakter dieser Lied-Bekenntnisse zu wahren.

Das gipfelt in von heftigen orchestralen Schauern begleiteten süßen Träumen einer Liebesnacht, ein klanglich vielschichtiges romantisches Nachbeben, das auch auf Gustav Mahler verweist. Dessen Sinfonie Nr. 5 ist wie ein Befreiungsschlag aus programmatischen Zwängen, hin zu absoluter Musik. „Eine Symphonie der Realitäten“ hat sie Alma Mahler, Gattin des Komponisten, einmal genannt.

Dem spüren Järvi und die hr-Sinfoniker schon im vom überragenden Trompeter exponierten Trauermarsch knallhart nach, dem ein heftig bewegter, in der Basilika-Akustik sich stimmlich überstürzender Satz folgt, dessen akribisch erforschte Kühnheiten auf die Moderne hinweisen.

Es folgt ein bei Järvi Tempo-genaues Scherzo mit ironischer Distanz zum Wienerischen Walzertakt, das Orchester – und vor allem die Hörner – wie im Rausch. Forcierte Fröhlichkeit, eine Art Wut über den verlorenen Groschen. Volle Konzentration dann von Streichern und Harfe beim Adagietto, weltberühmt durch den Visconti-Film „Tod in Venedig“, das trotz kühler Aufnahmetechnik (das hr-Fernsehen hat aufgezeichnet und gestern Abend gesendet) im musealen Kirchenschiff wie weltentrückt wirkt. Attacca geht’s ins nur scheinbar unbeschwerte Rondo-Finale, dessen Fugen-artiges Netzwerk an Stimmen Järvi wie unter dem Mikroskop zu vergrößern scheint – bei effektvoll abgerissenem Schluss.

Wieder eine mutige, weil der Musik des 20. Jahrhunderts verpflichtete, Rheingau-Festival-Eröffnung. Auf weitere edle konzertante Tropfen darf man gespannt sein.

http://www.op-online.de/nachrichten/kultur/magische-momente-1297759.html

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