HOSOKAWA "CEREMONY" | BRUCKNER 8, Tonhalle Zürich am 14.09.2022

Oper Aktuell

Kaspar Sannemann 

14.09.2022



SAISONERÖFFNUNG

Gleich zu Beginn des Konzerts feuerte der Verwaltungsratspräsident der Tonhalle-Gesellschaft Zürich AG, Martin Vollenwyder, mit seinem voluminösen Organ (er verzichtete wie immer bei seinen Ansprachen auf ein Mikrofon und nutzte die exzellente Akustik des renovierten Saals!) das Publikum zu Begeisterung und Treue und Werbung für die kommenden Konzerte auf. Die Intendantin, Ilona Schmiel (mit Mikrofon), strich die programmatischen Schwerpunkte der 154. Saison in diesem grandiosen Saal heraus: Die Zusammenarbeit mit dem diesjährigen Inhabers des Creative Chairs, Toshio Hosokawa, dessen Flötenkonzert CEREMONY an diesem Abend zur Uraufführung gelangen wird, ausgeführt und gewidmet dem diesjährigen Fokus-Künstler, dem Flötisten Emmanuel Pahud. Einen weiteren Schwerpunkt der Saison wird die Fortführung der Aufnahmen der Sinfonien Anton Bruckners unter der Leitung des Music Directors Paavo Järvi bilden, dessen monumentalstes Werk, die 8. Sinfonie, nach der Pause erklingen werde.

DIE URAUFFÜHRUNG

Toshio Hosokawas Flötenkonzert CEREMONY beginnt wie aus dem Welt-Atem geboren - es wird nur Luft durch Blasinstrumente geblasen. Selbst der Solist Emmanuel Pahud, dem das Werk gewidmet ist, lässt nur stockenden Atem durch seine Querflöte fliessen. Langsam entstehen aus wilden Fetzen Töne, zusammenhängendere Passagen. Lautstärke und Virtuosität schwellen an. Der Solist ist für Hosokawa eine Art Schamane, der sich mit der Natur auseinandersetzt. Mit grosser Verblüffung verfolgt man den Solisten, der seinen drei Instrumenten (er wechselt auch mal zur Altflöte und zur Piccoloflöte) eine unfassbare Palette an Farben und Ausdrucksmöglichkeiten entlockt, mal fast schwelgerisch, dann wieder schrill und hysterisch. Hochspannend gerät ein Dialog mit der Holzbläsergruppe, die beim Tonhalle-Orchester Zürich herausragend besetzt ist. Im dritten Teil entwickelt sich ein tosender Kampf zwischen Orchester und Solist, Hosokawa evoziert eine lärmige Sogwirkung, auf welche ein hypnotischer Sologesang der Flöte folgt. Im letzten Teil scheint eine Versöhnung mit der Natur stattzufinden, man hört Naturlaute, Vogelgesang. Nach Angaben des Komponisten stellt dieser Schlussatz auch eine Gebetsmusik dar, welche um das Ende der Pandemie bittet. Jedenfalls findet man sich am Ende als Hörer*in in einer absolut friedlichen Stimmung und staunt über das unheimlich subtile Verklingen, welches Paavo Järvi und das Tonhalle-Orchester¨im Saal auszubreiten vermögen. Der anwesende Komponist durfte anerkennenden Beifall entgegennehmen. Wie oft bei zeitgenössischer Musik wird man sie erst nach mehrmaliger Begegnung wirklich würdigen können.

BRUCKNERS GIPFELSTURM

Dies ging den Zeitgenoss*innen Anton Bruckners wohl genauso. Lange brauchte der Komponist, um die ihm gebührende Anerkennung zu erfahren. Seine achte Sinfonie wird als seine gewaltigste bezeichnet, ja einige Adlaten versteigen sich gar dazu, sie als das grösste je geschaffene sinfonische Werk zu bezeichnen. Da wir bei der Musik und nicht beim Sport sind, will ich das nicht weiter ausführen. Unbestritten ist, dass sie an die Ausführenden monumentale Ansprüche stellt. Es muss nämlich gelingen, einen Spannungsbogen über 80 Minuten zu halten und eine klangliche Balance zu finden, bei der das Blech nicht alle anderen Stimmen zudeckt und trotzdem die Kulminationspunkte - die schwer erkämpft werden müssen (wie stets bei Bruckner) - zur effektgeladenen Explosion zu bringen. Dies gelingt Paavo Järvi und dem exzellent spielenden Tonhalle-Orchester Zürich an diesem Abend auf herausragende Art und Weise. Järvi geht diese Schöpfung zum Glück zügig an, er zelebriert nicht am Hochaltar, sondern erzählt ein dramatisches Gedicht. Knapp 80 Minuten braucht er dazu (Celibidache z.B. nahm sich 100 Minuten Zeit).

Der erste Satz beginnt mit einem mürrisch-drohenden Motiv, wie wenn ein Riese aus seinem Tiefschlaf geweckt würde. Das Motiv trotzt immer wieder der lichteren Stimmung, welche die Geigen zu verbreiten suchen. In mehreren Anläufen wird der Höhepunkt erreicht - Gänsehaut. Doch schnell fällt alles wieder zusammen, die "Totenuhr" (Bruckner) beginnt zu ticken, der Satz endet (als einziger von Bruckners Ecksätzen) im Pianissimo, welches von Järvi und dem Orchester - wie schon bei Hosokawa - ausserordentlich bewegend gestaltet wird. (Kleine Anmerkung: In der Erstfassung der Sinfonie endet dieser erste Satz im Ostinato C-Dur Fortissimo.) Dem tragischen Ende dieses Kopfsatzes stellte Bruckner im zweiten Satz die derbe Tolpatschigkeit des "deutschen Michel" gegenüber. Järvi und das Tonhalle-Orchester nehmen diesen stampfenden Bauern mit Genuss auf, das klingt rhythmisch überragend sicher und die klangliche Finesse wird subtil ausgekostet, mit den glitzernden drei Harfen, welche auch im überlangen Adagio-Satz ihre himmlischen Arpeggien beisteuern. Begeisternd intonieren die Celli und die Bratschen den Anfang dieses wunderschönen langsamen Satzes, da wird eine bewegende Innigkeit evoziert. Natürlich braucht Bruckner auch hier mehrere Anläufe, um den Höhepunkt zu erreichen, doch wenn es dann soweit ist, verfällt man der klanglich eruptiven Magie mit den beiden krönenden Beckenschlägen (in der Erstfassung waren es noch sechs!). Hier ist unbedingt auch der beim Schlussapplaus dann besonders gefeierte Paukist zu erwähnen, der mit seinen zum Teil brachialen, aber stets mit haargenauer rhythmischer Präzision ausgeführten Schlägen und Wirbeln aufhorchen liess. Auch die wunderbar sauber intonierenden Hörner und Wagnertuben sowie der Spieler der Basstuba verdienten sich mit ihren Leistungen einen Sonderapplaus. Der Finalsatz lässt die diversen Motive der vorangehenden Sätzen zumindest in ihrer Rhythmik nochmals auftürmen, das Blech stellt vehemente Thesen auf, das Holz bestätigt diese. Wunderschön erklingt das kurze besänftigende zweite Thema, verschafft uns etwas Ruhe, bevor dann resolut auf die krönende Coda zugeschritten wird. Die hat es wahrlich in sich und verfehlt auch an diesem Abend ihre mitreissende Wirkung nicht, die sich in einem verdienten und lang anhaltenden Beifallssturm für das Tonhalle-Orchester Zürich und seinen Chefidrigenten Paavo Järvi entlädt.

Werke:

Toshio Hosokawa wurde 1955 in Hiroshima geboren. Er zählt zu den bekanntesten und erfolgreichsten Komponisten Japans. Neben Orchester- und Kammermusik schreibt er auch Konzerte für Soloinstrumente und Filmmusik, beschäftigt sich aber ebenfalls mit Kompositionen für traditionelle japanische Instrumente. In dieser Saison besetzt er den Creativ Chair an der Tonhalle Zürich. Nach eigenen Aussagen stelle seine Musik einen Gang durch einen Garten dar. Man hält inne, hört, geht weiter. Jeder Ton sei eine Landschaft und nicht wie in der europäischen Musik bloss ein Teil eines Ganzen.

Anton Bruckner (1825-1896) unterzog seine gewaltigen Sinfonien immer wieder Überarbeitungen, so dass insbesondere von den Sinfonien II - V mehrere Fassungen existieren. Bei der Sinfonie Nr. VIII ist die Lage noch etwas komplexer, da die Urfassung zu Bruckners Lebzeiten gar nie aufgeführt wurde und erst 1973 erstmalig öffentlich zu hören war, also 90 Jahre nach ihrer Entstehung. Der Grund dafür lag darin, dass Bruckner nach dem grossen Erfolg der VII. Sinfonie sich sicher war, mit der VIII. auf Anhieb einen grossen Wurf gelandet zu haben. Doch der Dirigent Hermann Levi, welcher die VII. zu einem Triumph geführt hatte, äusserte sich niederschmetternd über das neue Werk Bruckners und empfahl eine Überarbeitung, eine Empfehlung, welche Bruckner auch befolgte. Die Uraufführung dieser Zweitfassung unter Hans Richter in Wien wurde zu einem grossen Erfolg. Doch damit war die Geschichte noch nicht zu Ende, denn im 20. Jahrhundert schuf der Bruckner Kenner Robert Haas eine Mischfassung aus der Originalpartitur und der Zweitfassung von 1890 und diese Version setzte sich erstaunlicherweise mehr und mehr durch.

Diese achte Sinfonie ist mit einer Spieldauer von ca 80 Minuten ein gigantisches Werk. Der erste Satz Allegro moderato, alla breve ist in der Sonatenhauptsatzform gearbeitet. In der Urfassung endet dieser Kopfsatz im dreifachen forte, in der Überarbeitung im Pianissimo. Im Scherzo sah Bruckner (wenn man der Sinfonie ein "Programm" unterlegen wollte) den "deutschen Michel" dargestellt und verleiht dieser Figur mit der energischen Motorik ihre Gestalt, welche in der Urfassung rauer und weniger gelättet aufscheint als in der Überarbeitung. Das Adagio ist um 38 Takte länger als in den nachfolgenden Fassungen und erreicht den Kulminationspunkt in C-Dur, in den späteren Fassungen im milderen Es-Dur. Das Finale (Feierlich, nicht schnell) ist gar um 62 Takte länger und zeichnet sich durch eine andere Instrumentierung gegenüber der entschärften Zweitfassung aus. Auch wenn man die Sinfonie nicht im Strauss'schen Sinne als Programmmusik verstehen sollte, so helfen beim Verständnis sicher auch Bilder, die Bruckner selbst in einem Brief an Felix von Weingartner erwähnt hat: Drei-Kaiser-Treffen in Olmütz (Wilhelm I., Franz Joseph I., Zar Alexander II.), Symbol des Kreuzes, Totenmarsch, Verklärung. Am Ende steht die Verarbeitung aller vier Hauptthemen der Sinfonie in einer strahlenden Krönung.


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