Zürich Tonhalle: PÄRT | BEETHOVEN | BRUCKNER

 Oper Aktuell 

Kaspar Sannemann 

26.10.2022


ÜBERRAGENDE MEISTERSCHAFT

In den Genuss eines aussergewöhnlichen Moments absoluter Meisterschaft in Technik und Interpretation kam das Publikum an diesem Abend in der Tonhalle Zürich bei der Aufführung von Beethovens genialem vierten Klavierkonzert. Rudolf Buchbinder, DER Beethoven Interpret und Kenner unserer Tage, spielt dieses wunderbare Konzert mit atemberaubender Finesse, tief empfundener gedanklicher Durchdringung und einer stupenden Leichtigkeit, die alle immensen Schwierigkeiten des Klavierparts vergessen lässt. Federleicht, wie improvisierend, leitet das Soloklavier das Konzert ein, das Orchester greift das Thema auf, entwickelt es unter der Stabführung von Paavo Järvi subtil weiter, bevor der Solist sich wieder einschaltet und sich ein spannungsgeladener Dialog entwickelt. Rudolf Buchbinder glänzt mit brillanten Trillern, Vorhalten von bestechender Klarheit, präzise perlenden chromatischen Läufen. Bei aller technischen Komplexität versteht er es, "gesanglich" zu bleiben, eine verblüffende Balance in der unterschiedlichen Dynamik der linken und der rechten Hand zu erreichen. In der Kadenz findet Buchbinder hochspannende Wege zwischen Lyrismen und rasanten, unglaublich virtuosen Attacken. Der zweite Satz Satz ist geprägt von dem markanten, aufrührerischen Schreitmotiv der Streicher und den sanften Entgegnungen des Klaviers, wie wenn es den Streichern sagen wollte: "He Freunde, kommt mal runter, haltet den Ball flach!" Unbeeindruckt von den immer wieder aufbegehrenden Streichern hält das Piano an dem sanften Tonfall fest, bis sich das Marschartige der Streicher in einem vereinzelten Zupfen der Saiten verliert und sie schliesslich in den sanften Duktus des vom Pianisten vorgegebenen innigen Themas einschwenken. Järvi, Buchbinder und das Tonhalle-Orchester Zürich gestalten diesen Streit um die Themenhoheit mit präziser Gestaltungskraft, Rudolf Buchbinder lässt unglaublich expressiv flirrende Triller und Läufe im Diskant schwirren. Mit zart empfundener Gelöstheit geht's dann ins Rondo-Finale. Wiederum begeistert das Wechselspiel zwischen Orchester und Solist, welch eine Genauigkeit in dieser Fröhlichkeit des Dialogs, die in einer brillanten Stretta endet. Als Zugabe spielte Rudolf Buchbinder das Finale aus der soganannten Sturmsonate (op.31, Nr.2) von Beethoven, zeigte mit seiner pianistischen Vollkommenheit, wie die mitreissenden, dynamisch so feinfühlig austarierten Sechzehntelfiguren den Sturm abbilden, der am Ende in einem chromatischen Lauf spielerisch verklingt - eben MEISTERHAFT!

BRUCKNER

Für einmal also wurde das Programm vor der Pause nicht von der nach der folgenden Bruckner-Sinfonie "erschlagen", im Gegenteil, das Beethoven-Konzert und das zu Beginn gespielte Werk von Arvo Pärt machten längeren und nachhaltigerern Eindruck als Bruckners 6. Sinfonie. Natürlich wird die Bruckner Sinfonie eindrücklich aufgeführt, die explodierenden Themen im Blech überwältigen, erschlagen - und ermüden auch. Denn wenn man die Sinfonien von Bruckner innerhalb kürzester Zeit hört (wie zur Zeit in der Tonhalle Zürich, wo Järvi und das Tonhalle-Orchester im Januar 2022 einen Bruckner-Zyklus begonnen haben, der sich über mehrere Spielzeiten erstrecken wird), kann man sie kaum mehr auseinander halten. Aber selbstverständlich faszinieren die Klangballungen, diese fortwährenden (sich als vergeblich herausstellenden) Anläufe zu Kulminationspunkten, das Zurückfallen von fff-Passagen in verhaltene Piani, das erneut zögerlich angegangene Erklimmen von überwältigenden Gipfeln, wie etwa im Schluss des Kopfsatzes. Das Adagio kommt weniger mit Trauer erfüllt daher als in anderen Sinfonien Bruckners. Es klingt durch die wunderbar warm spielenden Streicher des Tonhalle-Orchesters Zürich sehr breit, erhält eine positive, leuchtende Grundstimmung. Im Scherzo kontrastieren gekonnt die lieblichen, idyllisch-schmeichelnden Streicherfiguren mit dem dreinfahrenden - leicht diabolisch angehauchten - Blech. Eine ländliche, alpine Naturstimmung verbreitet das Trio. Der Finalsatz klingt natürlich markant, und - wie stets bei Bruckner - fanfarenartig. Hier überzeugt vor allem die Innigkeit des Orchesterspiels in der Durchführung. Hypnotisch gelingt die Coda mit der triumphalen Erinnerung an das Hauptthema des Kopfsatzes. Paavo Järvi schlägt ziemlich zügige Tempi an, was Bruckners Sinfonie zugute kommt. (Celibidache z.B. brauchte fast eine Viertelstunde mehr Zeit für Bruckners 6.)

Bei all dem durchaus faszinierenden dynamischen Übermass denkt man gerne an den Beginn des Konzerts zurück, an diese so intim und sublim komponierte Trauermusik Arvo Pärts, diesen CANTUS IN MEMORY OF BENJAMIN BRITTEN für Streichorchester und Glocke. Beruhigende, meditative Musik, mit den leicht variierten Abwärtsbewegungen der Streicher, in die man gerne eintaucht. Immer wieder untermalt die (Trauer-) Glocke diese Sanftheit, am Ende ist da nur noch ein lange hallender, sanfter Glockenschlag - und für einmal bleibt es 30 Sekunden mucksmäuschenstill im Saal, bis der Applaus anhebt. Das wünschte man sich nach solch bewegender Musik öfters!

Werke:

Arvo Pärt (geboren 1935) komponierte diesen Cantus als Reaktion auf den Tod von Benjamin Britten, den er persönlich zu seinem grossen Bedauern nicht kennen lernen durfte, desssen musikalische "Reinheit" aber eben gerade entdeckte, al er die Nachricht vom Tod Brittens erhielt. Wie so oft in seinen Werken erreicht Pärt eine unglaubliche Emotionalität, die direkt ins Herz trifft durch einfachste Mittel, Dreiklänge und lang gehaltene Töne - und durch Stille!

Ludwig von Beethoven (1770-1827) komponierte insgesamt fünf Klavierkonzerte. Die Nummer vier gilt als sein lyrischstes. Hier findet die Verschmelzung von Sinfonie und Solistenkonzert ihre erste bedeutende Ausführung. Das Konzert ist in einem zarten Grundton gehalten, weich, innig, trotz des marschartigen Seitenthemas im ersten Satz. Phantastisch konzipiert ist der zweite, der langsame Satz, ein Andante con moto: Die Liebe (das Klavier) stellt sich einem Dialog mit finsteren Mächten (der Unterwelt?). Die Argumente scheinen hin und her zu wechseln, das Klavier scheint den Disput schliesslich zu gewinnen. Mit einem heiteren Rondo schliesst das Konzert.

Die sechste Sinfonie von Anton Bruckner (1825-1896) gehört neben der fünften und der siebten zu den Sinfonien des Meisters, welche von ihm selbst nicht in mehreren Fassungen vorliegen. Trotzdem hat es lange, sehr lange gedauert, bis das gut einstündige Werk in der von Bruckner konzipierten, kompletten Fassung uraufgeführt wurde, nämlich erst 39 Jahre nach seinem Tod. Zwar hatte Gustav Mahler die Sinfonie 1899 schon einmal mit den Wiener Philharmonikern aufgeführt, allerdings in einer Fassung, die Mahler selbst erstellt hatte. Zu Bruckners Lebzeiten wurden nur einmal die beiden Mittelsätze im Rahmen eines Konzerts in Wien 1883 aufgeführt. Die sechste Sinfonie ist Teil der Sinfonien Bruckners, welche in Dur Tonarten stehen (Nr. 4 – Nr. 7). Sie stellt auch einen Übergang von der monumentalen fünften zu den abgeklärten und Bruckners Meisterschaft definitiv bestätigenden Sinfonien Nr. 7, 8 und 9 dar. Die Sechste erscheint durch die starke thematischen Verknüpfungen der Substanz in den vier Sätzen als ausgesprochen abgerundetes, auch für das an Bruckner ungewohnte Ohr leicht zugänglich. Der erste Satz (Majestoso) ist in der Sonatenhauptsatzform komponiert, mit wuchtigen Themengruppen. Das Adagio führt nach den erratischen Blöcken des Kopfsatzes in mystischere, beinahe liedhafte Dimensionen. Spukhaft und diabolisch geht es im Scherzo zu und her. Das Trio bringt Ruhe in das Getriebe und ein Selbstzitat aus der fünften Sinfonie taucht auf. Der Finalsatz bringt in typisch Brucknerscher Manier Rückbezüge auf den Kopfsatz, erklingt als grossartig konstruiertes (auch in Sonatenhauptsatzform), überwältigendes musikalisches Gebäude.



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