Paavo Järvi dirigiert Haydn-Sinfonien


Rheinische Post D Düsseldorf

Wolfram Goertz

15.05.2023

Klassik Denken wir an die Wie- ner Klassik und die Sinfonik, lau- fen in unserem Gedächtnis auto- matisch berühmte Melodien ab. Der erste Satz von Wolfgang Ama- deus Mozarts g-Moll-Sinfonie mit diesem herrlich nervösen Drängen und Schieben, diesem Klima von Unruhe und Rastlosigkeit. Oder, noch populärer, Ludwig van Beet- hovens Fünfte mit dem Ta-ta-ta- taaaa-Klopfmotiv. Wir denken an olympische Spektakel (Mozarts „Jupiter-Sinfonie“) oder ländliche Naturschauspiele (Beethovens „Pastorale“). Von dessen Neunter als Hymnenlieferantin für Europa ganz zu schweigen.

Und was ist mit Joseph Haydn? Warum gerät dieser große Meis- ter so häufig an den Rand der Wahrnehmung oder fällt direkt über den Tellerrand? War er viel- leicht kein großer Sinfoniker, kein Meister unvergesslicher Einfälle? Doch, die hatte er, und zwar nicht zu knapp – man muss nur in die „Schöpfung“ reinhören. Allerdings war Haydn eher kein Zuspitzer, kein Dramatiker. Seine Kunst lag in der originellen Konversation,

in der gewitzten Kommunikati-
on von Stimmen. Bei Beethoven ging es sozusagen zu wie bei „Mar- kus Lanz“. Haydn erinnert oft eher

an den „Presseclub“ sonntags um 12.03 Uhr im Ersten.
In jedem Fall muss man Haydn ernstnehmen – und wenn sich dazu so wunderbare Kräfte wie die Deutsche Kammerphilharmo- nie Bremen und der Dirigent Paa- vo Järvi versammeln, dann wird aus der Interpretation zweier spä- ter „Londoner“ Haydn-Sinfonien ein Ereignis. In der Nr. 101 in D-

Dur („Die Uhr“) und der Nr. 103 in Es-Dur („Mit dem Paukenwirbel“) blitzen die Gedanken, es fällt viel Licht auf den Parcours, die Musik lächelt und brüllt nicht. Mit Lange- weile hat das nichts zu tun, im Ge- genteil: Järvi sorgt für Energie und Spannung, das Trampolin hängt keine Sekunde durch. Das Federn das Klangs ist spürbar. Wie immer spielen die Bremer mit fabelhafter Deutlichkeit, mit Charme und ei- nem Zwinkern. Es herrscht ein Kli- ma der geistreichen Gelassenheit. Nicht die schlechteste Wetterlage in unserer Zeit. 





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