Sol Gabetta und die Bremer Kammerphilharmonie: Die Vollendeten

Frankfurter Rundschau

09.05.2023

Judith Von Sternburg

Die Bremer Kammerphilharmonie mit Sol Gabetta und Klassischem in Frankfurt.

Zwischen zwei Sinfonien von Joseph Haydn ist Robert Schumanns Cellokonzert reine Avantgarde, und das liegt nicht an Haydn, sondern an Schumann. Und an der Solistin Sol Gabetta, die Schumanns Musik beim Pro-Arte-Konzert in der Alten Oper Frankfurt mit kühler Kühnheit spielte, dem Ungebärdigen wie dem Meditativen allen Raum ließ, dem Fantastischen und Unförmigen. Einer rein musikalischen Lösung widersetzte sie sich geradezu, nichts glättete und rundete sie, bürstete aber auch nichts auf, war eher gelassen und bei aller technischen Makellosigkeit der merkwürdigen Situation hingegeben.Die Ratlosigkeit, die die Menschen in Schumanns Zeit angesichts dieses (legendär in lediglich zwei Wochen komponierten) Werks vermutlich überkommen hätte – erst postum wurde es uraufgeführt –, konnte sich ohne weiteres auf uns übertragen. Eine Fantasie in einer so großen Besetzung ist tatsächlich unerhört.

Und möglich nur im Zusammenspiel mit einem besonders trefflichen Orchester, die von ihrem Chef Paavo Järvi geleitete Bremer Kammerphilharmonie bewegte sich wie ein brillanter Schwarm Fischlein um den Part der Solistin herum. Durch allen Absprachebedarf und alle Koordinationserforderlichkeiten sind Orchester und Dirigent offenbar weit hinaus. Als Zugabe und wie zum romantischen Ausgleich – die Romantik nun von der anderen Seite her betrachtet, in der Sache wie auch zeitlich – spielte Gabetta die Cello-Version von Lenskis Lied aus „Eugen Onegin“. Zur süßen Melodie tupfte das Orchester sanft.

Schon so viel Beethoven

Haydns Sinfonie Nr. 93 eröffnete den Abend, die 104. schloss ihn ab: völlige Formvollendung, der aber nichts Hohles anhaftete. Auch hier griffen Järvi und das Orchester die Musik so subtil an, dass auch dadurch die scharf umrissene Form nicht zementiert, sondern lediglich genau gezeichnet wirkte. Vor allem die Nr. 104, „London“ genannt, nimmt so viel Beethoven voraus, dass man nur staunen konnte über den fließenden Übergang. Auch die Musik zerfloss im Andante milde, aber nur so lange es der sanfte und behände Arm des Dirigenten wollte. Bremer Gemütlichkeit in den ländlerischen Menuetten verband das Derbe mit dem Allerfeinsten. Die Soli vor allem der Holzinstrumente hochklassig und nachher entsprechend bejubelt.

Ganz zum Schluss, ebenso verblüffend wie natürlich passend österreichisch, Johann Strauss’ Tritsch-Tratsch-Polka, die hier ganz ohne Tschingderassa auskam. Und man vermisste nichts dabei.

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