Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, Paavo Järvi
Rondo
Attila Csampai,
20.05.2023
Joseph Haydn Symphonien D-Dur Nr. 101 („Die Uhr“) und Es-Dur Nr. 103 („Mit dem Paukenwirbel“)
Paavo Järvi und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen sind seit Jahren ein
verschworenes Team. Als langjähriger künstlerischer Leiter produzierte der heute
60-jährige Este schon zwischen 2004 und 2007 einen Zyklus der Beethoven-
Sinfonien, der weltweit Furore machte, und bis heute zu den besten Einspielungen
überhaupt zählt. Im Dezember 2019 übertrugen sie dann ihren elektrisierenden
Zugriff auch auf zwei späte Haydn-Sinfonien, die jetzt erst mit dreijähriger
Verspätung veröffentlicht wurden.
Das hat aber ihre wahrlich überwältigende Wirkung in keiner Weise beeinträchtigt,
denn so frisch, so attackierend, so unverschämt flott hat man die Londoner
Sinfonien Nr. 101 und Nr. 103 wohl nie gehört: Wie bei Beethoven so lodert auch in
diesen 1794 und 1795 komponierten Werken das Feuer der Utopie, denn mit ihrer
entfesselten Spielfreude bringen es diese 44 Bremer Stadtmusikanten tatsächlich
fertig, deren enormes Zukunftspotential und die ungebremste
Experimentierfreude des späten Haydn so frisch und lebendig auflodern zu lassen,
dass selbst einige Koryphäen des modernen Historismus dagegen ziemlich blass
klingen.
In beiden Werken erscheint hier Haydn als direkter Wegbereiter der
nachfolgenden sinfonischen Revolution Beethovens, und so etwa der wunderbare,
zwischen Moll und Dur pendelnde Variationensatz in der Sinfonie Nr. 103 als
Vorbild für Beethovens Eroica. Es ist der spannendste und intelligenteste Haydn,
den ich seit langem gehört habe. Und es sind nicht allein die pulsierenden, stets
drängenden Tempi, nicht allein der Farbenreichtum klar konturierter Stimmen,
und ebenso nicht nur die dynamische Explosivität einer hochmotivierten
Profitruppe – es ist der von Järvi entfesselte Geist eines „Kollektivs von
Besessenen“, der diese wilde Truppe von den meisten vergleichbaren Formationen
unterschiedet, und Haydn so endlich aus dem Schattendasein eines diskreten
Sinfonikers befreit.
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