Sehr Laut Haydn in der Glocke

Kreiszeitung Syker Zeitung

UTE SCHALZ-LAURENZE

13:05:2023

Bremen – Noch immer haftet der Musik von Joseph Haydn im Volksmund ein gemütli- ches Vorläufertum zur Musik von Mozart, Beethoven und Schubert an. Robert Schu- mann gar meinte, Haydn sei ein Hausfreund, der nichts mehr zu sagen habe. Dass dem nicht so ist, wissen im- mer mehr Konzerthörerin- nen und -hörer und jeder neuerliche Beweis ist noch immer aufregend. Den liefer- te jetzt in der ausverkauften Glocke die Deutsche Kam- merphilharmonie, die auf jahrzehntelange Haydn-Er- fahrung verweisen kann. Sie will sich nun erneut mit dem Komponisten beschäftigen. Eine Rezension für die drei Konzerte könnte wie folgt be- ginnen: „Dieser wunderbare Mann enttäuscht uns nie, alle Einfälle seines erfinderischen und leidenschaftlichen Ge- nies wurden selten zuvor von einem Orchester mit mehr Präzision durchgeführt oder von den Zuhöreren mit mehr Entzücken aufgenommen, als dies an jenem Abend der Fall war.“ Zu lesen war dies aber schon am 15. April 1795 in der „Morning Chronicle“ in London.

Mit zwölf energiegelade-

„Very noisy“ – sehr laut: Haydn in der Glocke

nen „Londoner Sinfonien“ beginnt das Alterswerk des Komponisten und jedes die- ser Stücke ist eine immer wieder unfassbare Explosion von Überraschungen: Bei Haydn geht es immer anders weiter als man denkt. Paavo Järvi ist einer der sehr weni- gen Dirigenten, die es sich leisten können, Kenntnisse und Erfahrungen der histori- schen Aufführungspraxis so- zusagen nicht zu beachten.

Er arbeitet nach dem drei- fachen Fortissimoschlag der Sinfonie 93 die haydnschen Denk- und Spielwelten im Sinne einer „Klangrede“ trotzdem mit einer unglaub- lichen Überdeutlichkeit he- raus. Rhetorisch sind die Ges- ten elegant und verschmitzt, die Artikulationen improvisa- torisch und mitreißend die dynamischen Verhältnisse: Das Publikum saß ange- spannt auf der Stuhlkante.

Starke Besetzung: Acht erste Geigen

Deftig polterte bei Järvi das Menuett der Sinfonie 104 und verwies so auf die Um- deutung des einstmals höfi- schen Charakters, ebenso wie im deutschen Tanz aus der Sinfonie 93. Am stärksten

wirkt Haydns Witz. Das alles wird vom Orchester hochvir- tuos gespielt, ohne allein das zu sein. Auch die Besetzung ist mit acht ersten Geigen stark und mit modernen In- strumenten natürlich viel lauter als Ende des 18. Jahr- hunderts. Aber wenn ein Ur- aufführungszuhörer notier- te, die Musik sei „very noisy“, dann war es damals vielleicht auch „sehr laut“?

Schon einmal, 2012, hatte Järvi Haydn mit dem spieleri- schen Cellokonzert von Ro- bert Schumann kombiniert, damals mit Stephen Isserlis. Jetzt kam Sol Gabetta, die dem Bremer Publikum be- reits viele Solokonzerte ge- schenkt hat. Es gelangen eine schöne Gleichwertigkeit von expressiver Farbe und Ant- wort, bewundernswerte ge- genseitige Impulse und eine völlig unaufgesetzte Schlicht- heit.

Eine empfindsame Zugabe war die Lenski-Arie aus Tschaikowskis „Eugen One- gin“ und vom Orchester die Tritsch-Tratsch-Polka von Jo- hann Strauss: Insgesamt war das ein Meisterkonzert für die tiefgehende Anregung des musikalischen Denkens.



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