Die Bremer Kammerphilharmonie mit Sol Gabetta und Klassischem in Frankfurt

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JUDITH VON STERNBURG
10.05.23

Zwischen zwei Sinfonien von Joseph Haydn ist Robert Schumanns Cellokonzert reine Avantgarde, und das liegt nicht an Haydn, sondern an Schu- mann. Und an der Solistin Sol Gabetta, die Schumanns Musik beim Pro-Arte-Konzert in der Alten Oper Frankfurt mit kühler Kühnheit spielte, dem Ungebär- digen wie dem Meditativen allen Raum ließ, dem Fantastischen und Unförmigen. Einer rein musikalischen Lösung wider- setzte sie sich geradezu, nichts glättete und rundete sie, bürste- te aber auch nichts auf, war eher gelassen und bei aller techni- schen Makellosigkeit der merk- würdigen Situation hingegeben.
Die Ratlosigkeit, die die Men- schen in Schumanns Zeit ange- sichts dieses (legendär in ledig- lich zwei Wochen komponier- ten) Werks vermutlich über- kommen hätte – erst postum wurde es uraufgeführt –, konnte sich ohne weiteres auf uns über- tragen. Eine Fantasie in einer so großen Besetzung ist tatsächlich unerhört.
Und möglich nur im Zusam- menspiel mit einem besonders trefflichen Orchester, die von ih- rem Chef Paavo Järvi geleitete Bremer Kammerphilharmonie bewegte sich wie ein brillanter Schwarm Fischlein um den Part der Solistin herum. Durch allen Absprachebedarf und alle Koor- dinationserforderlichkeiten sind Orchester und Dirigent offenbar
weit hinaus. Als Zugabe und wie zum romantischen Ausgleich – die Romantik nun von der an- deren Seite her betrachtet, in der Sache wie auch zeitlich – spielte Gabetta die Cello-Version von Lenskis Lied aus „Eugen Onegin“. Zur süßen Melodie tupfte das Orchester sanft.
Schon so viel Beethoven
Haydns Sinfonie Nr. 93 eröffne- te den Abend, die 104. schloss ihn ab: völlige Formvollendung, der aber nichts Hohles anhafte- te. Auch hier griffen Järvi und das Orchester die Musik so sub- til an, dass auch dadurch die scharf umrissene Form nicht zementiert, sondern lediglich genau gezeichnet wirkte. Vor al- lem die Nr. 104, „London“ ge- nannt, nimmt so viel Beethoven voraus, dass man nur staunen konnte über den fließenden Übergang. Auch die Musik zer- floss im Andante milde, aber nur so lange es der sanfte und behände Arm des Dirigenten wollte. Bremer Gemütlichkeit in den ländlerischen Menuetten verband das Derbe mit dem Al- lerfeinsten. Die Soli vor allem der Holzinstrumente hochklas- sig und nachher entsprechend bejubelt.
Ganz zum Schluss, ebenso verblüffend wie natürlich pas- send österreichisch, Johann Strauss’ Tritsch-Tratsch-Polka, die hier ganz ohne Tschingde- rassa auskam. Und man ver- misste nichts dabei.



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