Frankfurter Allgemeine Zeitung article
April 7, 2008
Frankfurter Allgemeine Zeitung -
Rhein-Main-Zeitung, KULTUR
Blendende Gestaltungs profile
Paavo Järvi mit einem seiner Orchester in der Alten Oper
Die Zeiten scheinen vorbei, in denen Dirigenten ihr künstlerisches Lebenswerk mit einem einzigen Klangkörper untrennbar verbanden: Herbert von Karajan, dessen hundertsten Geburtstag die Musikwelt gerade feiert,war ein solches Beispiel, auch wenn die Entfremdung des alternden Künstlers mit seinen Berliner Philharmonikern in den achtziger Jahrenso weit vorangeschritten war, dass die Situation teils skurrile, teilsauch tragische Ausmaße annahm.
In Amerika war es einst Eugene Ormandy,der als Chef des Philadelphia Orchestra dort mehr als 40 Jahre lang Maßstäbe setzte. Heute hingegen begegnet man weitaus häufiger demständig durch die Welt jettenden Maestro, der mehrere Orchesterleitet und dies durchaus als künstlerischen Gewinn empfindet.Paavo Järvi, der 2010 Musikdirektor des Orchestre de Paris wird, istderzeit nicht nur Chef des hr-Sinfonieorchesters, sondern auch der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und des Cincinnati SymphonyOrchestra. Mit Letzterem war er zum wiederholten Male in der Alten Operzu Gast. Im Gegensatz zu früheren Auftritten des Orchesters, bei denenmanche klanglichen Unebenheiten zutage traten, vermochte Järvi, derdiesen Posten in Amerika seit 2001 innehat, diesmal weitaus mehr zuüberzeugen: Keine Frage, dass dieses Ensemble seit Max Rudolfs Zeitenentscheidend an Klangprofil und Präzision gewonnen hat.Franz Schuberts Sinfonie Nr. 8 C-Dur D 944, mit der der offizielleProgrammteil beschlossen wurde, bevor mit Brahms' Ungarischem Tanz Nr. 6D-Dur und der "Valse triste" op. 44 von Jean Sibelius zwei in puncto Agogik und Dynamik zugespitzt interpretierte Zugaben folgten, warhierfür ein beeindruckendes Beispiel. Järvi betonte nicht so sehr diescheinbar unendliche Melodie, sondern - stärker noch im Andante con moto- die scheinbar unvermittelt herein brechenden dynamischen Wechsel unddas Spiel ständig modifizierter Klangfarben.
Schon im Kopfsatz hatte erein ausuferndes Espressivo vermieden. Scherzo und Finale wirktenallerdings konventioneller gestaltet. Zu Beginn des "Pro-Arte"-Abends hatte der aus Moskau stammende Pianist Nikolai Lugansky ganz im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestanden, derSerge Rachmaninows Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 d-Moll op. 30mit einer derart stupenden Souveränität meisterte, dass Ovationenunmittelbar folgten. Lugansky vermeidet durchaus jede donnerndeKraftgeste, vermag vielmehr zart abgetönt, biegsam in Dynamik undPhrasierung, seinen Part zu spielen. Sein Spiel ist außerordentlichdifferenziert bei blendender Technik.
HARALD BUDWEG
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