CONCERT REVIEW: From Hamburg - Groß gedacht, riesig gemacht

April 14, 2008

Die Welt

Von Peter Krause


Das Cincinnati Symphony Orchestra unter Chefdirigent Paavo Järvi und der Pianist Nikolai Lugansky begeisterten
in der Musikhalle
Amerikanische Dimensionen lehren uns bekanntlich auch in musikalischen Dingen, was "think big" eigentlich heißt, und sie erinnern uns daran, dass großem Denken gelegentlich auch große Taten folgen. Wohl ist das Cincinnati Symphony Orchestra, das am Sonnabend zwei glorreiche Beispiele seiner Kunst bei Pro Arte in der Musikhalle abgab, ja nur das zweitbeste Orchester im südlich des Eriesees sich ausbreitenden Bundesstaats Ohio, dennoch lässt es, im Rang hinter dem größeren und prominenteren Cleveland Orchestra stehend, dessen sehr guten Ton Christoph von Dohnányi lange angab, Hamburgs Orchester, ob nun das dritt-, zweit- oder erstplatzierte, doch ziemlich alt aussehen.Dabei wollen wir hier keine grundsätzliche Wertungsdebatte zwischen dem Kunstverständnis der Alten und der Neuen Welt eröffnen, der Klangkörper aus der mittelgroßen Industriestadt mit Erzbischofssitz am Ohio River gilt ja ohnehin als der "deutscheste" unter den amerikanischen Orchestern. Die größte Gruppe von Einwanderern stammt schließlich aus unseren Landen und prägt bis heute auch das kulturelle Leben einer Stadt, die mit ihrer historischen Music Hall, einem Opernhaus und dem Cincinnati May Festival auch musikalisch sehr gut aufgestellt ist, ohne sich deshalb gleich als die amerikanische Musikstadt schlechthin geben zu müssen.Der 12. Chefdirigent des 1895 gegründeten Orchesters ist Paavo Järvi. Der bescheiden auftretende, präzise schlagende und dabei maximale orchestrale Differenzierungen auslösende junge Maestro erweist sich als ein Glücksfall für die Musiker aus Cincinnati. Denn die genuin musikantische Haltung des Balten federt die für amerikanische Orchester sonst so typische protzende Brillanz stets geistvoll ab. Schon die gelöst ausmusizierte langsame Einleitung von Schuberts "Großer C-Dur-Symphonie" mit ihrem romantisch erhabenen Hörnerthema hört man auch hierzulande selten so warm schattiert und so intelligent gebaut in den fast unmerklichen, weil dynamisch so sensibel austarierten Steigerungen.Järvi lotet die Balance zwischen kollektiver Klangvision und individueller Entfaltung des Charakters eines jeden Musikers wunderbar aus. Insbesondere die Holzbläser gaben exquisite Beispiele dafür, mit welch behutsam gesetzten Akzenten sich prägnante Persönlichkeiten in den im großen Bogen phrasierten Klangfluss des Orchestertutti einzubringen vermögen. Kammermusikalisch durchhörbare Detailverliebtheit, herrliche Variabilität der Klangfarben und prachtvolle Eleganz spielten in dieser zugleich tiefschürfenden wie leichtgängigen Schubertsicht aufs feinste zusammen.Als idealer Partner von Dirigent und Orchester hatte sich zuvor schon Solist Nikolai Lugansky erwiesen. Der 1972 in Moskau geborene Pianist erinnerte in Rachmaninows "Drittem Klavierkonzert d-moll" an die größten Zeiten der russischen Musiktradition. Denn dem, so Artur Rubinstein, "Konzert für einen Elefanten" näherte sich Lugansky einem Elfenkönig gleich, schlich sich sanglich beflügelt in die überbordenden Einsätze, entdeckte all die kostbaren Sehnsuchtstöne, die lyrische Versponnenheit, den impressionistischen Zauber Rachmaninows, um danach effektvoll dem pianistischen Überschwang des Werks zu huldigen. Als Kraftwerker der virtuosen Attacke und Poet des sublimem pianistischen Gefühls zugleich bewies Lugansky seinen singulären Rang.

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