Mile-High Paavo Brings Cincinnati Symphony to Frankfurt
Frankfurt Rundschau
Järvi gave this interview to the Frankfurt Rundschau in advance of the CSO's arrival (publication date March 28, 2008). He and the orchestra perform April 4 in Frankfurt's Alte Oper. On the program are Schubert's Symphony No. 9 ("Great") and Rachmaninoff's Piano Concerto No. 3 with guest artist Nikolai Lugansky.
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"Das europäischste Orchester der USA"
Paavo Järvi: Dieser Wechsel gelingt mir mittlerweile ganz natürlich. Mein Ziel ist es jetzt, diese beiden Positionen sich gegenseitig befruchten zu lassen. Was ich hier in Frankfurt lerne, möchte ich in Cincinnati zur Anwendung bringen und umgekehrt. Dem deutschen Orchester fehlt manchmal die letzte Spur Brillanz, aber die Musiker haben mehr von dem, was ich "inneres Verstehen" nennen möchte. In Amerika sieht das Problem dagegen genau anders herum aus. Woran ich zum Beispiel das deutsche Orchester sofort erkenne? Von der ersten Minute an am Streicherklang. Die Streicher hier haben eben jene "Klangkultur" (Anmerkung: ein deutsches Wort im englisch geführten Interview), die man gerne als typisch deutsch bezeichnet. Man spürt einfach die Tradition in der Beschäftigung etwa mit Bruckner oder Brahms. Der Strich ist länger, saftiger, tragender. Auch in diesem Orchester sind die unterschiedlichsten Nationalitäten versammelt, das ist dabei gar nicht der Punkt. Ein Orchester spielt nicht deutsch, weil die Musiker Deutsche sind. Sondern weil der Dirigent genau diesen Klang sucht. Ich hörte neulich die Wiener Philharmoniker Tschaikowsky spielen, ein ungeheuer gutes Orchester. Aber man merkte: Es war nicht ihr Repertoire, und das halte ich doch für eine Beschränkung. Im 21. Jahrhundert sollte jedes Orchester in der Lage sein, die kollektive Intelligenz aufzubringen, eben einen russischen Klang herzustellen.
Schickhaus: Ein anderer Unterschied zwischen Ihren beiden Orchestern dürfte auch das Alter der Musik sein, die auf die Notenständer kommt. In Frankfurt führen Sie Zeitgenössisches auf von Widmann oder Tüür, in den USA wäre das wohl wesentlich schwerer zu handhaben.
Järvi: Wenn ich Chefdirigent zweier Orchesters dieses Kalibers bin, dann bin ich das mit Haut und Haaren. Und nicht dort mit ein bisschen mehr Anspruch, hier ein bisschen weniger. So bringe ich das komplette Material des neuen Werkes von Jörg Widmann nach Cincinnati, und wir spielen dort dessen US-Premiere, was wahrscheinlich die erste Aufführung eines Widmann-Orchesterwerks in den USA überhaupt sein wird. Diese Herausforderung nehme ich sehr, sehr ernst: Die Hörgewohnheiten des US-Publikums zu öffnen, Barrieren abzubauen. Sie haben aber natürlich Recht, eine solche Musik ist dort schwerer zu vermitteln, und anders als das Radio-Orchester in Frankfurt haben die Sinfoniker in Cincinnati sozusagen nicht das Mandat für zeitgenössische Musik. Darum sehe ich es auch als großen Vorteil an, gleich zwei Orchester zu haben. Nur eines, das wäre eine zu große Einschränkung für mich.
Schickhaus: Für Ihr Orchester in Cincinnati haben Sie einmal ein sehr schönes Bild gefunden: Es sei wie eine gut geölte Lokomotive, präzise, dafür ein bisschen mechanisch. Wie sähe das Bild denn für das HR-Sinfonieorchester aus?
Järvi: Es geht nicht um das reine Funktionieren. Die Qualität einer Aufführung hängt damit zusammen, wie sehr die Musiker die Musik verinnerlicht haben. In den USA sind die Musiker mitunter durchaus besser technisch vorbereitet, doch garantiert das nicht ein besseres Musizieren. In Deutschland ist der Grad der individuellen Vorbereitung vielleicht nicht so hoch, doch was ich speziell in Frankfurt so schätze: Hier will man wissen, was man spielt und warum man es so spielt. Ich selbst bevorzuge Orchester, die mit Verständnis für die Sache spielen; und nicht solche, die perfekt spielen, dabei aber nicht verstehen, was sie tun. Und so geht mein Streben in Cincinnati dahin, aus diesem amerikanischen Orchester das gewissermaßen europäischste der USA zu machen. Wo bei aller Brillanz, allem Muskelspiel auch nach dem Warum gefragt wird.
Schickhaus: Das klingt nach einem modernen, kommunikativen Typus des Dirigenten. Ist selbst in den USA die Zeit des Maestro vorbei?
Järvi: Ich jedenfalls bin kein Maestro. Ich bin Musiker. Sehen Sie sich meinen Vater an, Neeme Järvi: Er ist ein Maestro. Ein 70 Jahre alter Mann, der sich seinen Namen verdient hat. Ich sage immer, Dirigieren ist etwas für die zweite Hälfte des Lebens, wenn man die Reife dazu hat. Ich hoffe es zwar nicht, aber vielleicht bin ich ja bereits bei dieser zweiten Hälfte angekommen. Begriffe wie Maestro sind bedeutungslos, sie entbehren jeder Substanz. Das ist einer der Gründe, warum ich mein drittes Orchester, die Kammerphilharmonie Bremen, so sehr liebe. Da wird gemeinsam gearbeitet, jeder mit jedem und ohne eine Hierarchie.
Schickhaus: Wenn Sie jetzt Ihr Cincinnati Symphony Orchestra auf Europa-Tournee führen, haben Sie unter anderem die neunte Sinfonie von Franz Schubert im Programm. Das ist nicht unbedingt ein Werk für die Stärken eines US-Orchesters, oder?
Järvi: Das möchte ich nicht sagen. In Cincinnati haben 40 Prozent der Einwohner deutsche Wurzeln, und das Orchester hat eine lange Tradition mit deutschen Dirigenten. Die Affinität für Brahms, Schubert oder Bruckner ist enorm dort. Wir spielten Schuberts Neunte oft genug, und ich denke, es ist für ein deutsches Publikum interessant zu hören, wie diese Sinfonie von einem amerikanischen Orchester gespielt klingt.
Schickhaus: 2004 waren Sie zuletzt hier auf Tournee mit dem CSO, auch da traten Sie in der Alten Oper Frankfurt auf. Wusste Sie zu diesem Zeitpunkt bereits, dass Sie 2006 Chefdirigent werden würden hier in der Stadt? Oder fanden Sie die Alte Oper so toll, dass Sie sich gesagt haben: Hier muss ich hin?
Järvi: Ich kannte die Alte Oper bereits von früheren Konzerten mit anderen Orchestern. Mag sein, dass die Gespräche mit dem Hessischen Rundfunk 2004 schon begonnen hatten, dann aber wohl erst in einem frühen Stadium.
Schickhaus: Bei Ihrem 2004er-Konzert gab es Mahlers Fünfte, und ich erinnere mich: Das Publikum klatschte hinein zwischen das Scherzo und das Adagietto. Das wäre ja eher ein Grund gewesen, nicht genau dort ein eigenes Orchester haben zu wollen, wo man nicht das Ende einer Sinfonie abwarten kann...
Järvi: Wissen Sie, als ich kürzlich Bruckners Neunte in Paris dirigierte, klatschten zwei, drei Leute unmittelbar nach dem letzten Ton - das störte wirklich. Aber na ja, nach einem Scherzo... Menschen reagieren eben unterschiedlich. Manchmal fällt es eben wirklich schwer, nicht zu applaudieren und still sitzen zu bleiben nach einem Satz wie diesem. Über so etwas rege ich mich nicht auf. Aber nach Bruckners Neunter, das tut schon weh."
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Stefan Schickhaus: "
Paavo Järvi: “This change comes to me quite naturally. It is my goal now to allow these two positions to mutually fertilize themselves. What I learn here in Frankfurt, I would like to bring to
Schickhaus: "Another difference between your two orchestras may also be the age of the music on their music stands. In Frankfurt, you advance the contemporary (music) of Widmann or Tüür, in the
Järvi: “When I am chief conductor of two orchestras of this caliber, then I am completely that, not there with a few more demands, here a little less. Therefore I bring a complete new work by Jörg Widmann to
Schickhaus: "You have found a very beautiful picture one day for your orchestra in
Järvi:
Schickhaus: "That sounds like a modern, communicative type of conductor. Is the time of the maestro past even in the
Järvi: “I don't want to say that. In
Schickhaus: "You were here on tour with the CSO in 2004, also you were there at the Alte Oper Frankfurt. Did you know at that time already that you would become chief conductor in 2006 here in the city? Or did you find the Alte Oper so mad, that you said to yourself: I must be here?"
Järvi: “I knew the Alte Oper already from earlier concerts with other orchestras. It may have been that the discussion with the Hessian Radio had already begun in 2004, however then, probably only in an early stage.”
Schickhaus: "At your 2004 concert there was Mahler's Fifth and I remember: The audience clapped between the Scherzo and the Adagietto. That would have been rather a reason not to want to have you own orchestra there where one cannot wait for the end of a symphony . . ."
Järvi: “You know, when I conducted Bruckner's Ninth in
Frankfurt Rundschau
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