Paavo interview

April 7, 2008
Frankfurter Rundschau

Interview

Besonderer Glücksfall Der Geiger Christian Tetzlaff ist in der kommenden Saison "Artist in Residence" beim HR-Sinfonieorchester - ein Gespräch Hans-Jürgen LINKE Sie werden im Laufe der Spielzeit vier Konzerte in Frankfurt geben, drei mit dem Orchester, eines solo. Worin sehen Sie den Unterschiedzwischen drei einzelnen Konzerten eines Solisten mit dem gleichenOrchester und diesem Status? Als Solist kommt man höchstens alle zwei Jahre in eine Stadt. Als"Artist in Residence" habe ich die Möglichkeit, einen intensiveren Kontakt aufzubauen, zum Orchester, aber vor allem zum Publikum. Vielleicht gelingt es ja, dass jemand, der mich mit Mendelssohns Violinkonzert gehört hat, dann auch erleben will, wie ich Ligetis Violinkonzert spiele, weil er eventuell meint, es könnte einen guten Grund haben, dass ich Ligeti spiele. Okay, es kann natürlich auchpassieren, dass Leute nach einem Konzert nichts mehr von mir hörenwollen, das ist Solisten-Risiko. Ich hoffe aber darauf, dass Vertrautheit entsteht. Die Auswahl der Stücke, die Sie im Laufe der Saison aufführen werden, ist weit gespannt: Umrahmt von Klassik und Romantik, also Mendelssohnund Schumann, spielen Sie Ligeti und in einem Solo-Recital Stücke vonYsaye, Bartók und Bach.Diese Epochenbegriffe empfinde ich eigentlich als überflüssig. Natürlich haben Schumann und Mendelssohn zur gleichen Zeit ihre Violinkonzerte geschrieben, andererseits kann man sich kaumunterschiedlichere Violinkonzerte vorstellen als diese beiden. Die Epochenbegriffe sagen also hier nichts Wesentliches aus. Es gibt injeder Epoche große Komponisten, die unsere Gefühle ansprechen, nur das Gewand ändert sich, die Gesellschaft ändert sich und natürlich dasmusikalische Material, aber die Menschen bleiben sich erstaunlichähnlich. Eine nicht sehr populäre, aber sich langsam verbreitende Auffassung vonMusik: Sie treten nicht als Spezialist bestimmter Sparten innerhalb desMusikmarktes auf, sondern halten sich in Kontakt zur gesamten Musikgeschichte. Ich habe keinen bevorzugten Stil, nur bevorzugte Komponisten. Zu denen im 20. Jahrhundert György Ligeti gehört. Absolut. Ligeti ist auch deshalb ein so außerordentlicher Glücksfall, weil er in seinem Leben durch so viele Phasen gegangen ist. In densechziger und siebziger Jahren war seine Musik etwas abstrakter. Inseinem Violinkonzert aber schafft er eine Synthese aus seinenrumänischen Wurzeln - die in den fünfziger Jahren bei ihm eine vielgrößere Rolle spielten - mit elektronischer und serieller Musik. Dasergibt insgesamt ein so buntes, aufregendes Violinkonzert wie nurirgendeines.Aufregend ist auch das Programm Ihres Soloabends. Ich habe es mehrere Male während einer Amerika-Tournee gespielt. Dastanden allerdings noch einige der Paganini-Capricen mit im Programm,die ich in Frankfurt weglassen werde. Wobei wiederum das Gemeinsame auchhier größer ist als auf den ersten Blick zu sehen. Sowohl Ysaye wie auchBartók beziehen sich direkt auf Bachs Solo-Sonaten, diese Nähe wird ohnePaganini viel deutlicher. Es täuscht nicht, dass Sie als "Artist in Residence" ausgezeichnet zudem Orchester passen, dessen Spielräume ja auch wenig spezialisiertsind? Und zu Paavo Järvi, der mit der gleichen Begeisterung und Kompetenz Musik aus allen Epochen aufführt. Das ist doch ist das Ideal einesInterpreten: Nicht nur sich selbst zu spielen, sondern den Stil und die Umstände der jeweiligen Zeit zu kennen und möglichst in die Haut des Komponisten zu schlüpfen.
Interview: Hans-Jürgen Linke

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