Bremer Beethoven-Explosionen
Aufregend. Die Reise der Deutschen Kammerphilharmonie mit Paavo Järvi durch alle Symphonien begann fulminant.
27. Juli 2009 06:37 KARL HARB SALZBURG (SN). Was für ein Beginn! Die Salzburger Festspiele 2009 sind noch keine zwei Tage alt und schon hat man fünf Beethoven-Symphonien und das Violinkonzert gehört – und das in maßstäbesetzenden Neuinterpretationen durch die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, ihren famosen Chefdirigenten Paavo Järvi und die mirakulöse Geigerin Janine Jansen. Im Großen Saal des Mozarteums kochte Samstag und Sonntag die Stimmung des Publikums zum Siedepunkt hoch.
Ist zu Beethoven nicht längst alles ausprobiert und gesagt? Wir kennen die ehrbaren philharmonischen Traditionen wie die Ergebnisse der sogenannten „historisch informierten“ Aufführungspraxis. In Salzburg wurde der Gesamtzyklus aller neun Symphonien erst ein Mal gegeben, 1994 mit Nikolaus Harnoncourt und dem Chamber Orchestra of Europe. Es waren Sternstunden einer existenziellen Musikerfahrung.
Freilich: Ohne eine solche Erfahrung wäre die neue Lesart, die nun aus Bremen um die Welt geht (in Liveaufführungen und auf Tonträgern), nicht denkbar. Mehr noch: Über die rabiat-radikale Entstaubungsaktion, die Sir Roger Norrington den Werken einst angedeihen ließ, war Paavo Järvi, der aus einer traditionsreichen Dirigentenfamilie stammt, regelrecht schockiert.
Aber offensichtlich genau aus dieser Spannung von Tradition und Erneuerung bezieht seine eigene Beethoven-Interpretation die unverwechselbare Energie. Ihr Kern ist, wollte man die Ergebnisse der beiden bisherigen Salzburger Konzerte auf den Punkt bringen, der rhythmische Impuls. Er fundiert und entwickelt den Grundsog der Wiedergaben, ist der Keim jeder symphonischen Entwicklung, die von Stück zu Stück je eigene Kraft entfaltet.
Diese gewinnt das Eliteorchester aus rund 40 blendend spiellaunigen, enthusiastischen Musikern durch eine bravouröse Spielkultur und selbstverständliche Spieltechnik, durch fühlbare Disziplin und Konzentration.Kraft ohne Kraftmeierei Die Klangbalance wirkt Wunder an Klarheit in Phrasierung und Artikulation, Durchsichtigkeit ohne Dünnheit, Kraft ohne jede Kraftmeierei. Kaum je hat das Mozarteum so glanzvoll „geklungen“, auch wenn Paavo Järvi es immer wieder durchaus heroisch-dramatisch knallen lässt.
Wie eine Rakete, die schon weit über allen oft zitierten „Haydn-Geist“ hinauszielt, zündet längstens der Schlusssatz der Ersten, und wenn man, wie hier, die Symphonien chronologisch hören kann, wird im Übergang sofort schlagend, welche Entwicklung schon in der folgenden D-Dur-Symphonie Beethoven dem klassischen Symphoniemodell zubilligt. Da kommt es ganz auf die kreative Arbeit am Material an. Folglich wird das klangliche, motorische, dynamische Erscheinungsbild in alle erdenklichen Richtungen erweitert; es wird „experimentiert“, was das Material hält, und den Bremer Stadtmusikanten kann man dabei hörend zuschauen.
Frappierend etwa, welches Farbspektrum die einzelnen Bläserstimmen erreichen, wie sie sich untereinander, in den Gruppen und im Gesamtbild abstimmen. Sensationell, mit welchem Fantasiereichtum der Pauker Akzente setzt. Herrlich, welche dynamischen und artikulatorischen Abstufungen die Streicher kennen und ausspielen. Der Trauermarsch der Eroica: gespenstisch, als würde Freund Hein selbst spielen. Unerhört, wie das Eroica-Finale zu einem immer wieder verblüffend neu eingestellten Kaleidoskop an Variationen wird, wie die Motorik der Vierten pointenreich sprudelt, wie die pure Kraft der Fünften, vom c-Moll zu C-Dur, zu einem Strahlen ohne jedes pathetische Blendwerk wird.
Und dann noch das Wunder an Violinkonzert, von Janine Jansen mit fragiler Energie und einem jederzeit singend-sprechenden Ton aufregend aufgeladen, vom Orchester in subtilen Dialog übersetzt. Im ätherischen Lufthauch des Larghetto hörte man nicht das geringste Räuspern. Da ist die Botschaft verstanden worden.
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