Strukturierte Eruptionen
(klaba, tos, DER STANDARD/Printausgabe, 29.07.2009)
Es ist also doch wieder passiert: Durch ein "grandioses" Timing der Verantwortlichen ist es gelungen, mit den personellen Rochaden bezüglich der Verkleinerung des Direktoriums und der Abwicklung des Salzburger Übergangssommers 2011, die nun Markus Hinterhäuser anstatt Jürgen Flimm übernimmt, "eventhaft" in Konkurrenz zum tatsächlichen Festspielprogramm zu treten.
Als hätte Konzertchef Hinterhäuser das alles irgendwie vorausgesehen, hat er gleich an den Anfang der Festspiele den packenden Beethoven-Zyklus der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen gestellt, der - großteils nun schon auf CD gebannt - international für Furore gesorgt hat. Und diesfalls für an der Salzach selten erlebte Formen der Euphorie (rhythmisches Klatschen, Standing Ovations) sorgt. Mit einer ungemein lebendigen Art der Beethoven-Deutung - so könnte man also meinen - wehrt sich das Salzburg-Programm gegen den rundum tosenden kulturpolitischen Lärm.
Was für ein Beginn: Schon mit dem ersten Pizzicato in der Einleitung zur Ersten Symphonie drängte sich die Frage auf, wie man mit dieser Intensität denn wohl am Mittwoch die Neunte zu bändigen gedenkt. Es gab ein Elementarereignis, die Lautstärke war enorm. Sie schien zunächst selbst in den leiseren Passagen kaum unter ein mittleres Forte abzuschwellen.
Dann jedoch tauchten plötzlich die ersten jener unvergleichlich fein gestalteten Pianostellen auf, die - als emotional brodelnde Quellgründe weiterer Ausbrüche - das ganze Konzert lang für Hochspannung sorgten. Als wäre die Partitur eine Landschaft und der Dirigentenstab eine hochauflösende Kamera, mit der das Urgestein bis in feinste Felsritzen und tiefste Abgründe hinab taghell ausgeleuchtet wird: Dirigent Paavo Järvi und die Kammerphilharmonie verfuhren mit geradezu naturwissenschaftlich analytischem Blick.
Sie reagierten atemberaubend wendig und präzise auf feinste Änderungen in der Landschaft - und verwandelten das gesammelte "Datenmaterial" dennoch nicht in leblose Pixel, sondern in opulente Ölgemälde. Das Larghetto der Zweiten: Die traumsicher geführten Wendungen ins Eingetrübte schienen den Blick hinunter in einen schattenhaften Hades zu erlauben. Solange jedenfalls, bis ein wild knurrender Cerberus den neugierigen Odysseus wieder hinaufjagt ans Tageslicht.
Unzählige solch opernhaft-dramatischer Bilder und Assoziationen drängten sich auf. Der Trauermarsch in der Dritten: Das war kein Totengeleit ins Elysium via Heldengrab, sondern Begleitung zu Verdammnis und Höllenfahrt.
Die witzige Logik
Auch bei den Symphonien sechs und sieben wurde wiederum evident: Hier gelingt Järvi eine Synthese von wuchtigem Zugriff und Transparenz, wodurch die verschiedenen Schichten der Werke miteinander empathisch ins Gespräch kamen.
Järvi lässt hier auf Basis eines erdig-herben Klanges eine frappante Vielfalt an forschen bis zierlichen Phrasierungskunststücken vorführen. Das wirkt bisweilen witzig, dann wieder überwältigend expressiv, immer aber unsentimental logisch und doch emotional aufgeladen. Mitunter schien der große Saal des Mozarteums sogar ein bisschen zu klein angelegt, um diese Energie zu bändigen.
Heute wandert das Projekt denn auch ins Haus für Mozart, wo man sich zum symphonischen Finale mit der Achten und Neunten auseinandersetzt.
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