Paavo Järvi dirigiert Beethovens Neunte



Neue CDs | 18.09.2009 18:30 Uhr
NDR Kultur

Beethoven: Neunte Sinfonie
Christiane Oelze
Petra Lang
Klaus Florian Vogt
Matthias Goerne
Deutscher Kammerchor
Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
Leitung: Paavo Järvi

Vorgestellt von Friederike Westerhaus

Braucht die Welt noch eine weitere Aufnahme aller Beethoven-Sinfonien? Eine Frage, die sich vor fünf Jahren die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen mit ihrem Chefdirigenten Paavo Järvi gefallen lassen musste. Das Orchester hat allen Unkenrufen zum Trotz die Sinfonien eingespielt - und feiert sowohl mit den CDs als auch mit seinen Konzerten weltweit Erfolge. Drei umjubelte Beethoven-Zyklen hat die Kammerphilharmonie in diesem Jahr gespielt: in Paris, zum Auftakt der Salzburger Festspiele und beim Beethovenfest Bonn. Das japanische Musik-Magazin Ongaku-no-tomo hat die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen aufgrund ihrer Beethoven-Interpretationen gerade zu einem der zehn besten Orchester der Welt gewählt. Jetzt kommt die letzte CD des Beethoven-Zyklus auf den Markt: mit der neunten Sinfonie.

Ein Meilenstein der Musikgeschichte

Wie aus dem Nichts beginnt der erste Satz der neunten Sinfonie, ein paar Takte später dann die Fortissimo-Eruption des gesamten Orchesters. Schon aus diesen ersten Takten springt dem Zuhörer die ungeheure Konzentration und Kraft dieser Interpretation entgegen. Es ist eine Spannung, geradezu eine Sogwirkung, die über knapp 64 Minuten anhält. Die rhythmische Energie des zweiten Satzes weicht der berührenden Lyrik des Adagios, zauberhaft ausgesponnenen von den ersten Violinen des Orchesters. Für Järvi ist dieses Adagio ein Meilenstein der Musikgeschichte: "Es ist so beeindruckend, dass man hier wohl zum ersten Mal das voll ausgebildete Modell eines Adagios hat, auf dem die nächste Generation aufbauen kann. Ohne dieses Adagio gäbe es weder die langsamen Sätze von Mahler noch von Bruckner."

Gerade in diesem Adagio ist zu beobachten, wie lebendig die Orchestermusiker miteinander kommunizieren, wie harmonisch die Stimmen ineinander übergehen und miteinander verschmelzen.

Für den vierten Satz konnte eine Star-Besetzung gewonnen werden: Christiane Oelze, Petra Lang, Klaus Florian Vogt und Matthias Goerne. Järvi hat auf Sänger gesetzt, die kein großes, opernhaftes Finale singen, sondern durch die Feinheit und Beweglichkeit ihrer Stimmen bestechen. Auch hier entsteht eine Interpretation, die aus dem Geist der Kammermusik geprägt ist - ein Ansatz, der den gesamten Zyklus prägt. Einzig Vogt sticht aus diesem Quartett als etwas zu farblos heraus. Der Deutsche Kammerchor passt in seiner nicht allzu großen Besetzung und seiner Flexibilität bestens ins Gesamtbild.

Mitreißende Vitalität

Das Finale legt Järvi nicht als eine direkte Botschaft von Freiheit, Einheit und Brüderlichkeit an. Er sucht nach anderen Ebenen in diesem Satz: "Die Neunte hat natürlich die Botschaft von Freiheit und so weiter", so Järvi. "Aber ich denke, es steckt noch sehr viel mehr in dieser Musik, als diese offensichtlichen Aspekte. Wenn man an Beethovens Persönlichkeit denkt, da muss eine doppelte Bedeutung sein, noch eine andere Ebene, sonst wäre es uncharakteristisch. Wenn man auf die Instrumentierung achtet, auf die Tempi, darauf, was er in der Partitur betont und die dynamischen Vorgaben und diese Art der Hymne, dann weiß ich gar nicht, ob Beethoven am Ende wirklich so sicher ist, dass das alles tatsächlich möglich ist. Das nimmt der Sinfonie nicht ihre Aussage, alles steckt darin. Ich glaube nur einfach, dieser Satz ist nicht eindimensional."

Und so unterstreicht Järvi gerade die Momente, die diese anderen Ebenen aufdecken: Da sind die lauten, kurzen Kontrafagott-Töne direkt nach dem vom Chor gesungenen Wort "Gott!", die schrille Piccolo-Flöte, der kleine türkische Marsch. Gerade durch die Betonung dieser Momente erhält dieser Satz eine mitreißende Vitalität.

Mit größtmöglicher Natürlichkeit

Fünf Jahre lang haben sich Järvi und die Kammerphilharmonie Zeit gelassen, um alle Beethoven-Sinfonien einzuspielen. Sie wurden mit großer Sorgfalt produziert. Immer wieder haben Orchester und Dirigent während der Jahre die Sinfonien vor Publikum gespielt - und es ist ihnen gelungen, diese Lebendigkeit des Live-Konzerts im Studio einzufangen. Die Aufnahmen zeichnen sich durch eine ungebrochene Energie der Musiker aus, die Präzision im Spiel und eine sprechende Gestaltung, die neben der Orientierung an Originaltempi geprägt ist von extremen dynamischen Kontrasten und dem Aufspüren verschiedenster emotionaler Facetten bis hin zum Humor.

Es wirkt, als hätten Järvi und die Kammerphilharmonie die Sprache Beethovens mehr und mehr verinnerlicht und nun die Möglichkeit gehabt, sich mit größtmöglicher Natürlichkeit der neunten Sinfonie zu nähern. Es ist ein Zyklus, der eine wirkliche Bereicherung ist.

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