Paavo Järvis Sicht auf Brahms

nzz.ch
Marcus Stäbler
16.12.2017




Trennscharf hebt sich das sanft schwingende Hornthema vom Fundament der tiefen Streicher ab. Die Konturen treten klar hervor. Gleich zu Beginn der 2. Sinfonie von Brahms deutet Paavo Järvi die Richtung an, die seine Aufnahme einschlägt. Er entschlackt die Partitur und formt mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen einen transparenten, atmenden Klang. Mit 34 Musikern ist die Streicherbesetzung nur etwa halb so gross wie die, mit der die meisten Sinfonieorchester heutzutage Brahms aufführen – entspricht aber exakt jener Grösse, die der Komponist selbst zu seiner Zeit gewohnt war, etwa von den Orchestern in Meiningen und Wiesbaden.

Durch den schlanken Zugriff wirkt die Sinfonie weniger massig als in anderen Aufnahmen; sie bekommt eine leichtere Textur, die sich von der pastosen Schwere der spätromantischen Brahms-Tradition abhebt. Paavo Järvi, der designierte Chefdirigent des Zürcher Tonhalle-Orchesters ab 2019, nutzt den frischen Klang für eine bewegliche Interpretation mit feinen Nuancen im Tempo. Er nimmt sich Zeit für geschmackvolle Rubati, wenn er etwa im Kopfsatz kurz innehält, bevor er eine Linie der Geigen frei lässt. Selbst in schwelgerischen Momenten, wie im herrlichen Adagio non troppo, verliert die Musik nie den Fluss, sie bleibt immer durchsichtig. Auch die Bläsersolisten spielen mit einer Wachsamkeit und Sensibilität, die gewissermassen das Versprechen einlöst, das sich in der Bezeichnung Kammerphilharmonie verbirgt. Trotzdem wahrt das Orchester eine gewisse romantische Wärme und entfaltet auch sinfonische Wucht, wo immer es das Stück erfordert. Wie zu Beginn des Finales, wo Järvi die Kräfte präzise bündelt, durch den Einsatz der Pauke, der perfekt mit dem Tutti synchronisiert ist.

Järvi und sein Orchester ergänzen das Programm der CD – Auftakt eines Brahms-Zyklus – mit der «Tragischen Ouvertüre» und der «Akademischen Festouvertüre»: Schlusspunkt einer packenden Aufnahme, die das sinfonische Schaffen des Komponisten in neues Licht stellt.

https://www.nzz.ch/feuilleton/cd-05-transparenz-und-waerme-ld.1338552

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