So klingt der Neubeginn
nzz.ch
Christian Wildhagen
21.01.2018
Ilona Schmiel, die Intendantin der Zürcher Tonhalle, strahlt über das ganze Gesicht. Die sonst so Norddeutsch-Nüchterne schwebt zu Recht ein bisschen auf Wolke sieben an diesem Abend. Denn nicht nur Eingeweihte wissen, dass die Berufung von Paavo Järvi zum Chefdirigenten des Tonhalle-Orchesters ab 2019 ganz wesentlich ihr Werk ist und sich ihren exzellenten Verbindungen in die Musikbranche verdankt. An diesem Samstagabend trat Järvi, der international Gefeierte und Begehrte, nun erstmals in der neuen Tonhalle Maag auf, Schmiels zweites grosses Gesellenstück für Zürich.
Noch dirigierte Järvi zwar nicht sein künftiges Hausensemble, sondern sein heimisches Estonian Festival Orchestra; doch das Publikum im restlos ausverkauften Saal hiess den sympathischen Esten trotzdem so nachdrücklich und herzlich willkommen, als wäre dies bereits sein offizieller Einstand an der Limmat. Darin kam ohne Frage auch die Hoffnung vieler Musikfreunde zum Ausdruck, dass der seltsam lustlos verdämmernden Ära von Lionel Bringuier, dem noch bis zum Sommer amtierenden Chefdirigenten, bald ein umfassender Neubeginn folgen möge.
An diesem mit Ovationen und etlichen Zugaben gefeierten Abend kann man freilich noch etwas anderes lernen: Die Amtszeit von Paavo Järvi dürfte alles andere werden als ein leichter Spaziergang – für die Musiker wie für das Publikum. Wer es nicht schon aus früheren Konzerten Järvis wusste, bekommt hier nämlich schnell eine Ahnung, wie fordernd dieser Dirigent auftritt und arbeitet, dabei kompromisslos nur der Musik und seinem starken Interpretenwillen verpflichtet.
Das Programm umfasst ausschliesslich Werke aus dem 20. Jahrhundert, mit zwei Stücken von Arvo Pärt und der 6. Sinfonie von Schostakowitsch obendrein dezidiert osteuropäisches Spezialistenrepertoire; einzig das beliebte, hier aber ebenfalls nordisch-düster getönte Violinkonzert von Jean Sibelius wirkt wie ein leises Zugeständnis. Umso mehr kann man gerade bei Sibelius eine von Järvis besonderen Stärken erkennen: Er gehört zu den Dirigenten, die Solisten in Konzertstücken wahrhaft einfühlsam begleiten können, ohne dass darüber der Orchesterpart an Eigengewicht verliert.
Davon profitiert die Geigerin Viktoria Mullova, die zwar bisweilen mit den teuflisch vertrackten Doppelgriff-Passagen ihres Soloparts zu kämpfen hat, nie aber mit der stellenweise entfesselten Klanggewalt des Orchesters. Järvi macht unmissverständlich deutlich, dass er dieses Violinkonzert des selbst als Geiger höchst versierten Finnen nicht als Virtuosenfutter versteht, sondern als ein Seitenstück zu dessen grossen Sinfonien. Entsprechend leuchtet der Ton voll dunkler Kraft, namentlich im Adagio. Im formal mäandernden Kopfsatz hält Järvi nicht nur die Zügel straff, er hebt auch zahlreiche Gegenstimmen und Orchestrierungseffekte hervor, etwa in den tiefen Holzbläsern und den gestopften Hörnern, die zumeist untergehen.
Überhaupt kommt Järvi mit dem neuen Konzertsaal erstaunlich gut zurecht, von einigen grenzwertig lauten Passagen im Blech und im Schlagwerk bei Schostakowitsch abgesehen. Der sehr stimmige Gesamtklang beruht indes auch auf einer anderen Sitzordnung, die Järvi hoffentlich auch beim Tonhalle-Orchester einführen wird: Darin sind Celli und Bratschen in der akustisch begünstigten Mitte der Bühne placiert und die Kontrabässe hinter den ersten Violinen, was das zu stark abgedämpfte Bassfundament des Maag-Saals ausgleicht.
Schon bei Pärts «Fratres» und dem kompositorisch noch dichteren «Cantus in Memory of Benjamin Britten» zeigt Järvi neben seinem Klanggespür auch einen ausgeprägten Sinn für die Aura und die rituelle Strenge dieser gleichzeitig avancierten wie rückwärts gewandten Musik. Und in Schostakowitschs Sechster heizt er seinem fast durchweg sehr jungen Festivalorchester derart ein, dass namentlich das Scherzo und der Final-Galopp – wohl ganz im Sinne des Komponisten – wie eine hypertrophe Parodie auf den seinerzeit vom Sozialismus verordneten Jubel klingen. Zürich darf gespannt sein.
https://www.nzz.ch/feuilleton/so-klingt-der-neubeginn-ld.1349642
Christian Wildhagen
21.01.2018
Ilona Schmiel, die Intendantin der Zürcher Tonhalle, strahlt über das ganze Gesicht. Die sonst so Norddeutsch-Nüchterne schwebt zu Recht ein bisschen auf Wolke sieben an diesem Abend. Denn nicht nur Eingeweihte wissen, dass die Berufung von Paavo Järvi zum Chefdirigenten des Tonhalle-Orchesters ab 2019 ganz wesentlich ihr Werk ist und sich ihren exzellenten Verbindungen in die Musikbranche verdankt. An diesem Samstagabend trat Järvi, der international Gefeierte und Begehrte, nun erstmals in der neuen Tonhalle Maag auf, Schmiels zweites grosses Gesellenstück für Zürich.
Noch dirigierte Järvi zwar nicht sein künftiges Hausensemble, sondern sein heimisches Estonian Festival Orchestra; doch das Publikum im restlos ausverkauften Saal hiess den sympathischen Esten trotzdem so nachdrücklich und herzlich willkommen, als wäre dies bereits sein offizieller Einstand an der Limmat. Darin kam ohne Frage auch die Hoffnung vieler Musikfreunde zum Ausdruck, dass der seltsam lustlos verdämmernden Ära von Lionel Bringuier, dem noch bis zum Sommer amtierenden Chefdirigenten, bald ein umfassender Neubeginn folgen möge.
Bessere Sitzordnung
An diesem mit Ovationen und etlichen Zugaben gefeierten Abend kann man freilich noch etwas anderes lernen: Die Amtszeit von Paavo Järvi dürfte alles andere werden als ein leichter Spaziergang – für die Musiker wie für das Publikum. Wer es nicht schon aus früheren Konzerten Järvis wusste, bekommt hier nämlich schnell eine Ahnung, wie fordernd dieser Dirigent auftritt und arbeitet, dabei kompromisslos nur der Musik und seinem starken Interpretenwillen verpflichtet.
Das Programm umfasst ausschliesslich Werke aus dem 20. Jahrhundert, mit zwei Stücken von Arvo Pärt und der 6. Sinfonie von Schostakowitsch obendrein dezidiert osteuropäisches Spezialistenrepertoire; einzig das beliebte, hier aber ebenfalls nordisch-düster getönte Violinkonzert von Jean Sibelius wirkt wie ein leises Zugeständnis. Umso mehr kann man gerade bei Sibelius eine von Järvis besonderen Stärken erkennen: Er gehört zu den Dirigenten, die Solisten in Konzertstücken wahrhaft einfühlsam begleiten können, ohne dass darüber der Orchesterpart an Eigengewicht verliert.
Davon profitiert die Geigerin Viktoria Mullova, die zwar bisweilen mit den teuflisch vertrackten Doppelgriff-Passagen ihres Soloparts zu kämpfen hat, nie aber mit der stellenweise entfesselten Klanggewalt des Orchesters. Järvi macht unmissverständlich deutlich, dass er dieses Violinkonzert des selbst als Geiger höchst versierten Finnen nicht als Virtuosenfutter versteht, sondern als ein Seitenstück zu dessen grossen Sinfonien. Entsprechend leuchtet der Ton voll dunkler Kraft, namentlich im Adagio. Im formal mäandernden Kopfsatz hält Järvi nicht nur die Zügel straff, er hebt auch zahlreiche Gegenstimmen und Orchestrierungseffekte hervor, etwa in den tiefen Holzbläsern und den gestopften Hörnern, die zumeist untergehen.
Überhaupt kommt Järvi mit dem neuen Konzertsaal erstaunlich gut zurecht, von einigen grenzwertig lauten Passagen im Blech und im Schlagwerk bei Schostakowitsch abgesehen. Der sehr stimmige Gesamtklang beruht indes auch auf einer anderen Sitzordnung, die Järvi hoffentlich auch beim Tonhalle-Orchester einführen wird: Darin sind Celli und Bratschen in der akustisch begünstigten Mitte der Bühne placiert und die Kontrabässe hinter den ersten Violinen, was das zu stark abgedämpfte Bassfundament des Maag-Saals ausgleicht.
Jubel-Parodie
Schon bei Pärts «Fratres» und dem kompositorisch noch dichteren «Cantus in Memory of Benjamin Britten» zeigt Järvi neben seinem Klanggespür auch einen ausgeprägten Sinn für die Aura und die rituelle Strenge dieser gleichzeitig avancierten wie rückwärts gewandten Musik. Und in Schostakowitschs Sechster heizt er seinem fast durchweg sehr jungen Festivalorchester derart ein, dass namentlich das Scherzo und der Final-Galopp – wohl ganz im Sinne des Komponisten – wie eine hypertrophe Parodie auf den seinerzeit vom Sozialismus verordneten Jubel klingen. Zürich darf gespannt sein.
https://www.nzz.ch/feuilleton/so-klingt-der-neubeginn-ld.1349642
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