Zart und Intim
NDR.de
25.05.2012
Friederike Westerhaus
Dmitrij Schostakowitsch: Klavierkonzerte Nr.1 c-Moll op.35 und Nr.2 F-Dur op.102, Concertino für zwei Klaviere a-Moll op.94
25.05.2012
Friederike Westerhaus
Dmitrij Schostakowitsch: Klavierkonzerte Nr.1 c-Moll op.35 und Nr.2 F-Dur op.102, Concertino für zwei Klaviere a-Moll op.94
Alexander Toradze und George Vatchnadze, Klavier, Jürgen Ellensohn, Trompete
Hr-Sinfonieorchester, Ltg: Paavo Järvi
Hr-Sinfonieorchester, Ltg: Paavo Järvi
Vorgestellt von Friederike Westerhaus
Alexander Toradze gelingt es, Schostakowitsch so zu spielen, als würde die Zeit still stehen
31 Jahre alt war der Pianist Alexander Toradze, als er der Sowjetunion den
Rücken kehrte und in die USA emigrierte. Das war 1982. Damals war er Professor
am berühmten Moskauer Konservatorium, an dem traditionell viele der wichtigsten
russischen Künstler ausgebildet werden. Auch der Georgier selbst hatte dort
studiert. In den USA baute er an der Universität Indiana ein internationales
Klavierstudio auf.
Besonders bekannt ist
Alexander Toradze für seine Interpretationen des russischen Repertoires aus dem
19. und 20. Jahrhundert. Seine Einspielung der Prokofjew-Konzerte mit dem Kirov
Orchester unter Valery Gergiev gilt als Referenzaufnahme. Zusammen mit dem
hr-Sinfonieorchester unter Paavo Järvi hat Toradze jetzt die beiden
Klavierkonzerte von Dimitri Schostakowitsch herausgebracht.
Direkt aus dem Herzen
Der zweite Satz des zweiten Klavierkonzerts von Dmitrij Schostakowitsch
gehört zum Schönsten, was der Komponist je geschrieben hat. So zart und intim,
berührend und emotional, dass man sich ganz darin verlieren kann. Alexander
Toradze gelingt es, diesen Satz so zu spielen, als würde die Zeit still stehen.
Gerade für die großen russischen Konzerte hat der Georgier Toradze ein
tiefes Verständnis, hat sie absolut verinnerlicht. Der Gestus von
Schostakowitsch scheint ihm direkt aus dem Herzen zu kommen. Dirigent Paavo
Järvi hatte lange den Wunsch, die Konzerte mit Alexander Toradze aufzunehmen:„Ich liebe Lexo – so nennen ihn seine Freunde. Er ist ein
wunderbarer Mensch und Künstler mit einer enormen Phantasie, manchmal
unvorhersehbar und herrlich impulsiv – außergewöhnlich!“
Dirigent des
HR-Sinfonieorchesters, Paavo Järvi.
Überaus
phantasievolles Spiel
Das erste Klavierkonzert wird oft als etwas leicht und gefällig abgetan.
Alexander Toradze aber hat darauf einen ganz besonderen Blick. Er sieht darin
eine direkte Verbindung zur Jugend von Dmitri Schostakowitsch, in der er im
Kino Stummfilme am Klavier begleitete, erklärt Järvi.
"In diesen alten Filmen gibt es keine
sanften Übergänge, sie sind ziemlich unbeholfen geschnitten. Im einen Moment
geht’s um eine Liebesgeschichte, im nächsten stürmen plötzlich 50 Soldaten ins
Bild. Alles ist etwas schneller als im wirklichen Leben – das lag damals an der
Technik. Lexo spielt das wie die Begleitung zu einem Stummfilm. Er zeichnet die
Charaktere so stark und fast übertrieben, dass man in der Musik den Film vor
sich sieht."
Wie genau dieser Film aussieht, bleibt Jedem selbst überlassen. Aber das
phantasievolle, überaus plastische und kontrastreiche Spiel von Toradze dürfte
auch die Phantasie jedes Hörers anregen. Dem Kopfkino des Pianisten zu folgen,
erforderte von Paavo Järvi und dem HR-Sinfonieorchester große Flexibilität.
Dass sich Toradze, das Orchester und Järvi in einigen Momenten von ihrer
eigenen Verve mitreißen lassen auf Kosten kleiner Details, tut dem
hervorragenden Gesamteindruck keinerlei Abbruch.
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