Britten, Grieg, Sibelius: Einfalt und Eigenart

Klassik.com
Daniel Krause
28.04.2012


Brittens 'Simple Symphony' für Streichorchester wurde für Laienensembles verfasst. Die technischen Schwierigkeiten sind beherrschbar. Den Themen, kompiliert aus Brittens Jugendwerk, ist ein naiver Ton samt melodischer Eingängigkeit eigen. 'Simple Symphony' zielt weniger auf formale Finessen und Nuancen des Ausdrucks als humorig überzeichnete Charaktere. Dies erweist sich an den Satzüberschriften: 'Boisterous Bourrée', 'Playful Pizzicato', 'Sentimental Sarabande' und 'Frolicsome Finale'. Ohne Äpfel und Birnen verwechseln zu wollen, darf Brittens kunstvolle Einfalt mit Prokofjews 'Symphonie classique' verglichen werden. Die Leichtigkeit des Tons zu treffen, fällt in jedem Fall schwer.
Paavo Järvi und den Münchner Philharmonikern gelang es. Mit den ersten Takten wurde deutlich, dass sorgfältig geprobt worden war. Schönster Vorzug dieser Aufführung war deren Artikuliertheit. Keine Phrase blieb im Ungefähr. Einzelstimmen traten durch prägnante Formung, nicht Lautstärke hervor und wurden sinnvoll verbunden. Weit ausgreifende Crescendo-Zusammenhänge verliehen 'Simple Symphony' ein unerwartet monumentales Gepräge. Die Sarabande schlug trübe, schwermütige Töne an, die das Hauptwerk des Abends, Sibelius‘ Erste, vorwegzunehmen schienen. Legato-Linien wurden mit elastischer Bogenführung und schwelgerischer Gebärde geformt. An innerer Weite und musikalischer Intelligenz fehlt es 'Simple Symphony' nicht. Dies wurde eindrucksvoll bewiesen.
Auch Edvard Griegs Klavierkonzert steht im Ruf der Simplizität. Ihm mangele formale Durchdringung. Thematische Arbeit finde nicht statt. Wie der formalen Gestalt gebreche dem Ausdrucksgehalt jener Reichtum, der Brahms‘ und Schumanns Klavierkonzerten eigne. Grieg behaupte einfache Gegensatzpaare, statt Charaktere dialektisch zu vermitteln. Nun ist es müßig, nationalromantische Stile über den Kamm der Wiener Klassik zu scheren. An Griegs Klavierkonzert gibt es genügend Eigenes und Besonderes zu bestaunen: skandinavisches Kolorit, prägnante Tanz- und Marschrhythmen, das ungenierte Verweilen bei traumhaften melodischen Eingebungen, den selten effektvollen Kopfsatzbeginn mit Paukencrescendo und Akkordkaskaden des Klaviers. Grieg springt dem Hörer ins Gesicht. Gewiss ein indiskretes Gebaren, die Wirkung freilich bleibt nicht aus.
Mögen andere Konzerte mehr Übersicht, Durchhaltevermögen und Anschlagskontrolle fordern, hält Griegs Klavierkonzert, besonders in den Kadenzen, erhebliche technische Zumutungen bereit. Khatia Buniatishvili, die Übervirtuosin, war ihnen sieghaft gewachsen. Ob in Arpeggien, Trillern, Läufen oder Oktaven – Buniatishvili scheint allen Widerstand der Tasten und des Notentexts mit Leichtigkeit zu überwinden. Dabei neigt sie nicht zur Gewaltsamkeit, zur virtuosen Selbstgefälligkeit ebenso wenig. Dies kam dem Grieg-Konzert zugute. Es fehlte nicht an lyrischen Akzenten. Diese kamen durch freie, eigensinnige Rubati zustande. Mit generösem Pedal wurde dem eng fokussierten, vergleichsweise grellen Flügel klangliche Milde verliehen. Die Klarheit der Akkorde musste zurückstehen. Man hat sie von anderen luzider gehört. Gelegentlich, wenn das Tutti den Flügel verdeckte, hörte man nichts. In den Kadenzen waren Buniatishvilis Finger flinker als viertausend Ohren. Auch das Finale wurde ungemein rasch, mit Furor, angegangen. Der Gegensatz zu den verhaltenen Tönen des langsamen Satzes hätte nicht sinnfälliger ausgeprägt werden können. Im Sinne einer Dramaturgie der Kontraste war eine überzeugende Darstellung gelungen.
Sibelius‘ Erste teilt mit Brittens 'Simple Symphony' den jugendlichen Gestus und ein Gepräge des Anfangs, mit Grieg die nordische Herkunft und einen von Schlagwerk geprägten Beginn. Die Pauke hinterfängt ein Klarinetten-Solo, das den motivischen Kernbestand eines vierzigminütigen sinfonischen Geschehens formuliert – für Klarinettisten, jedes Mal wieder, ein Höhepunkt der Saison. Alexandra Gruber trumpfte dennoch nicht auf. Nichts Vollmundiges, Rhapsodisches, Großspuriges war ihrem Solo eigen. Es imponierten leise Töne und ausgefeilte Phrasierung.
Der weitere Verlauf unterwirft sich dem Kanon der Gattung. Auf den Sonaten-Kopfsatz folgt ein elegisches 'Andante', ein wild bewegtes Scherzo. Über düster dräuenden Orgelpunkten führt das Finale Themen der ersten drei Sätze zusammen. Gerade hier lässt Sibelius, der mit Programmmusik reüssierte, erzählerische und malerische Aspirationen erkennen: Mit dem ersten Versuch hat Sibelius eine unverwechselbare sinfonische Ausdrucksweise geprägt.
An diesem Abend fiel der für Münchner Verhältnisse ungewohnt markige, scharfe Blechbläserklang auf, kompaktes, meist durchsichtiges Tutti, präzise Koordination auch im dichten Gewühl und kluge großformale Disposition durch kalkulierte Dynamik. Die kreisende Motorik mancher Figuren wurde angenehm indifferent exekutiert, ohne rhetorisch befrachtet zu werden. In elegischen Passagen stellten die Streicher, von Julian Shevlin, Konzertmeister, angeführt, hohes Artikulationsgeschick unter Beweis. Wie Sinneinheiten mit abnehmender Tonintensität gerundet, die folgenden Phrasen vorbereitet wurden, ließ musikalische Kultur erkennen. Das Vorurteil, die Münchner Philharmoniker seien aggressiven und brillanten Wirkungen mental oder technisch nicht gewachsen, wurde spätestens mit dem Finale entkräftet. In Cleveland oder Chicago würde es kaum rigoroser klingen, allenfalls weniger erdig und ausgewogen im Klang. Der Beifall hätte euphorischer ausfallen dürfen. Die Münchner schienen von hochsommerlicher Hitze ermüdet.

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