Romantik ohne Duftkerzen

Bremen - Von Boris Hellmers(Eig. Ber.) · Kreis Zeitung
08.09.10

Das Beethoven-Projekt der Deutschen Kammerphilharmonie ist abgeschlossen: Die Sinfonien sind im Sack. Nun geht der Elite-Klangkörper einen Epochenschritt weiter und hat sich an Robert Schumann festgebissen. Zum Musikfest gab es ein sinfonisches Konzentrat sondergleichen: alle vier Sinfonien, das Klavierkonzert und die Manfred-Ouvertüre an zwei Abenden – das war Schumann für Hartgesottene, oder vielleicht gerade ein guter Einstieg für Schumann-Anfänger?

Soviel vorweg vom ersten Abend: Die wissenden Schumann-Nerds waren hier besser aufgehoben. Die Kammerphilharmonie, ihr Dirigent Paavo Järvi und Gast-Pianistin Hélène Grimaud betrieben zwei Stunden lang akribische Grammatik-Studien in der Ausdruckswelt des Zwickauers. In einem Konzert mit zwei großen Sinfonien und einem Solo-Konzert anzutreten, bedeutet immer auch einen Ansatz vergleichender Musikwissenschaft an einem Tonschöpfer.

Für so einen Ansatz sind die Kammerphilharmoniker natürlich die geeignetsten. Mit dem Beethoven-Zyklus hatten sie gezeigt, dass die Rezeptionsgeschichte des Klassik-Giganten noch lange nicht zu Ende ist – und in der Musik Robert Schumanns verbergen sich noch viel mehr Fragen.

Mit der gewaltigen vierten Sinfonien begann der erste Abend gewichtig. Neben der zweiten, der Frühlingssinfonie, und der heiteren „Rheinischen“ ist sie das dramatische Schwergewicht der vier Schumann-Sinfonien und von der Partitur her eine Herausforderung. Schumann verteilt das motivisch eher kleinteilige Material geschickt durch alle Orchesterebenen hindurch, im Werk wimmelt es von aufschlussreichen Innenbeziehungen, die man erstens erkennen, zweitens herausspielen und drittens in den großen Kontext des ganzen Werks stellen muss.

Paavo Järvis legendärer Durchgriff auf sein Bremer Orchester machte aus der Herausforderung einen durchschlagenden Erfolg. Die Musiker spielten Schicksal auf sinfonisch. Sie strichen hinreißende Kantilenen genüsslich aus, um dem Publikum im nächsten Moment Forte-Dramen in existentieller Wucht entgegenzuschleudern. Sie gaben die Romanze in süßer Strauss'scher Geschwätzigkeit, um im Scherzo dann vernichtende Pflöcke einzuschlagen.

Als sich im Finale – wir sind eben bei Schumann – alles hymnisch versöhnte, saß dem Publikum die sinfonische Achterbahn-Fahrt noch in den Knochen. Ja, auch Schumanns Rezeptionsgeschichte ist noch lange nicht zu Ende. Jedenfalls, was die Sinfonien anbelangt.

Bei dem a-Moll-Klavierkonzert könnte das etwas anders aussehen. Das Werk ist ein Standard des Genres und als Solo-Konzert naturgemäß exzentrisch in alle möglichen Richtungen ausgereizt. Die Interpretation von Hélène Grimaud setzte dann auch einen anderen Akzent als das Neu-Erleben der Sinfonien an diesem Abend.

Der melancholische Grundton des Konzerts verführte viele Interpreten zu großen, klebrigen Gesten. Grimaud holte das Konzert vom ersten Einsatz an herunter, zu Beginn wähnte man sich beinahe bei der historischen Aufführungspraxis. Kaum Pedal, eine sehr gerade Dynamik, eine flache Stimmführung. Das war Schumann pur, entkernt, und das, was da als Kern zum Vorschein kam, war wirklich das, was die Romantik ausmacht: Romantik ohne Duftkerzen, Dämmerlicht und Vanille-Tee. Dass Schumann der „Erfinders der musikalischen Romantik“ genannt wird, lässt sich mit einem solchen Herangehen untermauern. Natürlich ließ sich Hélène Grimaud nicht lumpen, was die vielen Brillier-Passagen des Konzerts anbelangte.

Zu hören war eine Pianistin der höchsten Liga, selbstverständlich in allen musikalischen Lagen extrovertiert, redselig und selbstbewusst. Größe bewies Grimaud aber auch wieder mit der nicht ganz so häufigen Gabe, sich bei aller Circensik gemeinsam mit dem Orchester unter den Schirm des Werks zu stellen und die Prioritäten woanders zu setzen als im eigenen musikalischen Epizentrum. Dafür bekam sie brausenden Applaus.

Mit der ersten Sinfonie in B-Dur verabschiedete sich die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen in die Halbzeit des Schumann-Doppelabends. Auch sie bekam endlosen Beifall aus einem Publikum, in dem am Ende des Konzerts sicher einige mehr wirklich Schumann-Begeisterte saßen als anfangs.

http://www.kreiszeitung.de/nachrichten/kultur/lokal/romantik-ohne-duftkerzen-910061.html

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