Das Orchestre de Paris im KKL
Codex Flores
19.11.12
Die Uraufführung von Strawinskys Le Sacre du Printemps, wohl einer der berühmtesten Eklats der Musikgeschichte, fand am 29. Mai 1913 statt. Sie jährt sich in einigen Monaten also zum hundertsten Mal. Das Orchestre de Paris, obwohl erst 1967 gegründet, kann als authentischer Erbe der Pariser Orchestertradition verstanden werden, die das Ballett verkörpert. Seine Auftritte in der Schweiz im Rahmen der Migros-Kulturprozent-Classics sind denn auch so etwas wie eine Reverenz an das bedeutende Ereignis, das in der Seine-Metropole die Moderne endgültig einläutete.
Vorgesehen war ursprünglich, Strawinskys auch heute noch überaus modern anmutendes Ballett mit Ravels im gleichen Jahr entstandener Orchestrierung der Danses nobles et sentimentales zu kombinieren, was durchaus eine schlüssige Kombination ergeben hätte – ergänzt um Mozarts Klavierkonzert Nr. 24 c-Moll KV 491, das sich mit seiner für seine Zeit ebenfalls sehr modern anmutenden Klanglichkeit gut eingefügt hätte.
Dem Orchester stand der Sinn nach anderem. Es ersetzte Ravels gläserne Walzerkünstlichkeit durch Debussys 18 Jahre vor dieser entstandenem «Prélude à l’après-midi d’un faune», ein Schlüsselwerk des französischen Impressionismus. Mit Strawinskys Frühlingsopfer ist es aber ebenfalls eng verbunden, hat doch der Choreograph Vaclav Nijinsky beide 1912 in Bewegung umgesetzt und damit die Tanzsprache gleich zweimal revolutioniert.
Im Luzerner KKL demonstrierte Paavo Järvi, der Chefdirigent des Pariser Orchesters, mit welcher Delikatesse und Präzision in den Pianissimi dieser Klangkörper zu agieren in der Lage ist. Etwas von dem Ambiente schien auch auf die Wiedergabe des Mozart-Klavierkonzertes abzufärben, das in facettenreicher (französischer?) Klanglichkeit aufblühte und auch im tänzerischen Kehraus des dritten Satzes mehr die nobel-sensible Geste betonte als die durchaus auch angelegte rhythmische Ausgelassenheit.
Am Klavier agierte Andreas Haefliger, der Bruder des Lucerne-Festival-Intendanten Michael Haefliger, und dies just am Vorabend der Eröffnung des Lucerne Festival am Piano 2012. Das Konzert wurde so unversehens zum Präludium der Luzerner Klavierwoche. Darauf, dass da durchaus auch einschlägige Fingerakrobtik gefragt ist, verwies Haefliger mit Liszts exhibitionistischem «Orage» (aus dem ersten Band der Années de Pèlerinages) als Zugabe – nicht ganz so perfekt wie gewohnt und im Ganzen des panfranzösischen Abends etwas querliegend. In Mozarts Klavierkonzert fügte er sich wunderbar in die Orchesterästhetik Järvis ein.
Zwischen das Mozart-Konzert und dem tastendonnernden Klaviersolo schob das Orchester allerdings noch eine – Uraufführung. Dem staunenden Publikum präsentierte es das jüngste Werk des zur Pariser Nomenklatura gehörenden Musterschülers und Komponisten Karol Beffa, La Vie antérieure für Klavier und Orchester.
Das Werk des mit Titeln und Preisen bereits höchstdotierten 41-jährigen Musikers und Politik-Sachverständigen folgt typisch französischer Ästhetik. Es entfaltet über knappen Ostinati und Motiven die unter anderem (zufälligerweise?) ein Motiv aus Tschaikowskys sechste Sinfonie zu paraphrasieren scheinen, pulsierende Texturen. Darüber schwingen sich weiter ausgreifende Bläserlinien, bevor ein stetig steigender Marimba-Ton in ein ruhiges Auspendeln führt. Ein insistierend-repetitives Jambus-Motiv tut schliesslich etwas des Guten zuviel. Das insgesamt gefällig-akademisch anmutende Konzert wurde vom Publikum überrascht, aber nicht unfreundlich aufgenommen.
Souverän dann die Wiedergabe des Frühlingsopfers, zugleich präzise und kantig, in einer unprätentiösen Interpretation, die es auch heute noch zum Aufreger machen kann, wie ein nicht ganz geräuschlos den Saal verlassendes Paar demonstrierte. Französisches gab’s auch als Orchesterzugabe: die Farandole aus Bizets zweiter Arlésienne-Suite – ein toller Ausgang eines tollen Abends. (wb)
18. November 2012: KKL, Tournee II der Migros-Kulturprozent-Classics. Orchestre de Paris, Paavo Järvi (Leitung), Andreas Haefliger (Klavier). Werke von Debussy (Prélude à l'après-midi d'un faune), Mozart (Klavierkonzert KV 291), Strawinski (Le Sacre du Printemps)
http://www.codexflores.ch/rezensionen_ind2.php?art=801
19.11.12
Die Uraufführung von Strawinskys Le Sacre du Printemps, wohl einer der berühmtesten Eklats der Musikgeschichte, fand am 29. Mai 1913 statt. Sie jährt sich in einigen Monaten also zum hundertsten Mal. Das Orchestre de Paris, obwohl erst 1967 gegründet, kann als authentischer Erbe der Pariser Orchestertradition verstanden werden, die das Ballett verkörpert. Seine Auftritte in der Schweiz im Rahmen der Migros-Kulturprozent-Classics sind denn auch so etwas wie eine Reverenz an das bedeutende Ereignis, das in der Seine-Metropole die Moderne endgültig einläutete.
Vorgesehen war ursprünglich, Strawinskys auch heute noch überaus modern anmutendes Ballett mit Ravels im gleichen Jahr entstandener Orchestrierung der Danses nobles et sentimentales zu kombinieren, was durchaus eine schlüssige Kombination ergeben hätte – ergänzt um Mozarts Klavierkonzert Nr. 24 c-Moll KV 491, das sich mit seiner für seine Zeit ebenfalls sehr modern anmutenden Klanglichkeit gut eingefügt hätte.
Dem Orchester stand der Sinn nach anderem. Es ersetzte Ravels gläserne Walzerkünstlichkeit durch Debussys 18 Jahre vor dieser entstandenem «Prélude à l’après-midi d’un faune», ein Schlüsselwerk des französischen Impressionismus. Mit Strawinskys Frühlingsopfer ist es aber ebenfalls eng verbunden, hat doch der Choreograph Vaclav Nijinsky beide 1912 in Bewegung umgesetzt und damit die Tanzsprache gleich zweimal revolutioniert.
Im Luzerner KKL demonstrierte Paavo Järvi, der Chefdirigent des Pariser Orchesters, mit welcher Delikatesse und Präzision in den Pianissimi dieser Klangkörper zu agieren in der Lage ist. Etwas von dem Ambiente schien auch auf die Wiedergabe des Mozart-Klavierkonzertes abzufärben, das in facettenreicher (französischer?) Klanglichkeit aufblühte und auch im tänzerischen Kehraus des dritten Satzes mehr die nobel-sensible Geste betonte als die durchaus auch angelegte rhythmische Ausgelassenheit.
Am Klavier agierte Andreas Haefliger, der Bruder des Lucerne-Festival-Intendanten Michael Haefliger, und dies just am Vorabend der Eröffnung des Lucerne Festival am Piano 2012. Das Konzert wurde so unversehens zum Präludium der Luzerner Klavierwoche. Darauf, dass da durchaus auch einschlägige Fingerakrobtik gefragt ist, verwies Haefliger mit Liszts exhibitionistischem «Orage» (aus dem ersten Band der Années de Pèlerinages) als Zugabe – nicht ganz so perfekt wie gewohnt und im Ganzen des panfranzösischen Abends etwas querliegend. In Mozarts Klavierkonzert fügte er sich wunderbar in die Orchesterästhetik Järvis ein.
Zwischen das Mozart-Konzert und dem tastendonnernden Klaviersolo schob das Orchester allerdings noch eine – Uraufführung. Dem staunenden Publikum präsentierte es das jüngste Werk des zur Pariser Nomenklatura gehörenden Musterschülers und Komponisten Karol Beffa, La Vie antérieure für Klavier und Orchester.
Das Werk des mit Titeln und Preisen bereits höchstdotierten 41-jährigen Musikers und Politik-Sachverständigen folgt typisch französischer Ästhetik. Es entfaltet über knappen Ostinati und Motiven die unter anderem (zufälligerweise?) ein Motiv aus Tschaikowskys sechste Sinfonie zu paraphrasieren scheinen, pulsierende Texturen. Darüber schwingen sich weiter ausgreifende Bläserlinien, bevor ein stetig steigender Marimba-Ton in ein ruhiges Auspendeln führt. Ein insistierend-repetitives Jambus-Motiv tut schliesslich etwas des Guten zuviel. Das insgesamt gefällig-akademisch anmutende Konzert wurde vom Publikum überrascht, aber nicht unfreundlich aufgenommen.
Souverän dann die Wiedergabe des Frühlingsopfers, zugleich präzise und kantig, in einer unprätentiösen Interpretation, die es auch heute noch zum Aufreger machen kann, wie ein nicht ganz geräuschlos den Saal verlassendes Paar demonstrierte. Französisches gab’s auch als Orchesterzugabe: die Farandole aus Bizets zweiter Arlésienne-Suite – ein toller Ausgang eines tollen Abends. (wb)
18. November 2012: KKL, Tournee II der Migros-Kulturprozent-Classics. Orchestre de Paris, Paavo Järvi (Leitung), Andreas Haefliger (Klavier). Werke von Debussy (Prélude à l'après-midi d'un faune), Mozart (Klavierkonzert KV 291), Strawinski (Le Sacre du Printemps)
http://www.codexflores.ch/rezensionen_ind2.php?art=801
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