Lob der Flexibilität

Kreiszeitung.de
29.11.2012

Deutsche Kammerphilharmonie feiert Järvi
Lob der Flexibilität

Bremen - Von Johannes BruggaierWenn vom „Stammgast in der Champions League“ die Rede ist, muss noch lange nicht der Ball rollen. Es ist ein Orchester, das sich gegenwärtig in der internationalen Spitzenklasse wähnt: die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen.
Viktoria Mullova ·
© Foto: Fair Viktoria Mullova
 
Man muss dieses Wortgeklingel nicht mögen. Wie überhaupt ein Kunstverständnis, das sich aus derlei agonistischen PR-Vokabeln speist, einem kulturelles Unbehagen durchaus förderlich ist. Aber es stimmt natürlich, dass sich die Deutsche Kammerphilharmonie in der vergangenen Dekade einen exzellenten Ruf erworben hat. Genauer gesagt: seit Amts antritt von Chefdirigent Paavo Järvi.
Nicht, dass sein Vorgänger Daniel Harding keine Impulse gesetzt hätte. Die endgültige Etablierung des Bremer Klangkörpers in den internationalen Konzertsälen aber ist erst unter Führung des gebürtigen Esten geglückt. Grund zu feiern also, zumal das Orchester mit Järvi erstmals überhaupt eine zehn Jahre währende Zusammenarbeit erlebt, wie Geschäftsführer Albert Schmitt auf der gestrigen Jahrespressekonferenz betont: „Paavo Järvi hat in dieser Zeit sein Engagement in Cincinnati aufgegeben, nächstes Jahr hört er auch in Frankfurt auf. Der Deutschen Kammerphilharmonie aber hat er über all die Jahre hinweg die Treue gehalten.“
In Bremen wird sich diese Treue jetzt unter anderem in Gestalt einer vierten Abo-Reihe auszahlen. Mehr als 700 zusätzliche Anfragen habe es zuletzt gegeben, sagt Schmitt: genug, um ab der kommenden Saison zumindest eine „Mini-Reihe“ mit drei weiteren Konzerten anzubieten.
Paavo Järvi freilich wird sich seinerseits nur dreimal blicken lassen. Erst im Februar, wenn er gemeinsam mit dem Hilliard Vokalensemble Werke von Guillaume de Machaut, Igor Strawinsky, Felix Mendelssohn Bartholdy und dem estnischen Komponisten Erkki-Sven Tüür vorstellt. Dann am 12. September mit einer konzertanten Aufführung von Beethovens Oper „Fidelio“. Und schließlich im Dezember gemeinsam mit der Violinvirtuosin Viktoria Mullova und Werken von Beethoven, Schostakowitsch sowie Schumann.
De Machaut und Tüür, dazwischen ein bisschen Mendelssohn: Dass solche Programme, gemixt aus sieben Jahrhunderten Musikgeschichte überhaupt möglich sind, ist für Järvi einer der herausragenden Vorzüge dieses Orchesters. „Sie klingen in einem Moment sehr barock und leicht. Und im nächsten Moment kannst du mit ihnen einen kraftvollen Schostakowitsch spielen“, lobt Järvi. „Diese Flexibilität ist einzigartig.“
Was steht noch an im Konzertkalender 2013? Ein Abend (11. April in der Glocke) mit Werken von Wagner, Ruzicka, Mozart und Verdi zum Beispiel unter der Leitung von Peter Ruzicka selbst. Als Oboist verpflichtet: Albrecht Mayer. Dirigent Reinhard Goebel erkundet im Mai Kompositionen des Barock. Und im Oktober wird Mezzosopranistin Angelika Kirchschlager zu einem Konzert mit Werken von Strauss, Wagner und Brahms erwartet.
Auf internationaler Bühne orientiert sich die Kammerphilharmonie südlich, zumindest ist anlässlich des deutsch-brasilianischen Jahres – ja, das gibt es – eine Reise nach São Paulo geplant. Und natürlich geht es auch wieder nach Japan, wo die zweite CD des Schumann-Zyklus schon seit Monaten in den Plattenläden liegt, früher als irgendwo sonst auf der Welt. Doch sich als europäischer Kunde über diese Bevorzugung des fernöstlichen Marktes aufzuregen, lohnt sich nicht mehr: Nur noch wenige Wochen, dann ist das gute Stück auch hier erhältlich.
Bleibt noch, auf die wahre Verbindung der Deutschen Kammerphilharmonie zu Paavo Järvi hinzuweisen. Diese nämlich besteht in Wahrheit gar nicht seit zehn Jahren. Sondern bereits seit 15 Jahren. „Ich hatte das Orchester damals beim Festival ‚Sommer in Lesmona‘ geleitet“, begründet der Dirigent seine eigene Berechnung. Und erklärt anschließend, warum er sich daran noch so gut erinnert: „Es hatte in Strömen geregnet.“ Wie fast immer, in Knoops Park.
http://www.kreiszeitung.de/nachrichten/kultur/lokal/flexibilitaet-2642082.html

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