Großer Solisten-Abend

Frankfurter Rundschau
Clemens Haustein
01. November 2012

Dirigent Paavo Järvi, hier mit dem hr-Sinfonieorchester. Foto: dpa
In der Philharmonie zeigt das Deutsche Symphonie-Orchester eine gelungene Vorstellung. Besonders zwei Musiker liefern einen beeindruckenden Auftritt.
Es braucht keine gute Musik, um zeigen zu können, wie großartig man ein Instrument beherrscht. Das Meisterwerk raubt dem Virtuosen ja immer auch ein wenig Glanz, führt ihn in die Knechtschaft als „dienender“ Musiker.
Max Bruchs Violinkonzert Nr. 1 ist ein Beispiel für romantische Musik, bei der nicht viel entsteht. Zwei Sätze lang kreist die Partitur seltsam fruchtlos, narzisstisch, voller Selbstmitleid, um sich selbst. Im dritten Satz dann manischer Ich-bin-der-König-der-Puszta-Größenwahn. Für den Solisten ist diese Abfolge selbstverliebter Seinszustände, was der Bayer „a g’mahde Wies’n“ nennt. Wenn er über Phantasie, Klangsinn und Gestaltungswillen verfügt, kann der Solist bei Bruch folglich gewaltige Ernte einfahren. Der Komponist hat sich ja netterweise hinter die Bühne verzogen.
Im Konzert des Deutschen Symphonie-Orchesters am Mittwochabend in der Philharmonie ging Geigerin Janine Jansen ernten, dass es eine Freude war; indem sie mit seltener Klangintelligenz und Fantasie den Gestaltungsraum nutzte, den Bruch in seinem Konzert bietet. Zahllos scheinen Jansens Varianten zu sein, einen Ton zu beginnen, zwischen gehaucht und angestochen. Ähnlich zahllos ihre Möglichkeiten im Vibrato zu variieren. Hinzu kommt dann noch ein selten zu hörender Reichtum an Klangfarben. Alles zusammen gibt Jansen die Möglichkeit zu betören, dass es dem Hörer schon fast unheimlich zu Mute wird. Wo kein starker Komponist im Hintergrund steht, droht die Diktatur des Solisten.
Dirigent Järvi vereinfacht, ohne zu langweilen
Das zweite Wunder des Abends: Paavo Järvi. Der Dirigent, der immer so wirkt, als hätte er eben noch zur Erfrischung im Eiswasser gebadet. An einen Offizier erinnernd, mit dem wunderbaren Unterschied, dass er nicht nur kerzengerade dasteht, sondern dabei auch noch heiter lächelt. Er vereinfacht, ohne zu langweilen. Was wohl damit zu tun hat, dass er ein Orchester so spielen lassen kann, als seien sämtliche Lavaströme tief unter dem Saalboden angezapft worden.
Durch Carl Nielsens 1. Sinfonie pflügt er flott hindurch, man kommt seltsamerweise nie auf den Gedanken, dass das nun oberflächlich sein könnte. Weil keine Gleichgültigkeit zu spüren ist, weil man irgendwann versteht, dass Nielsens teils schroff-öde Musik vielleicht eher ein Kampf der Naturelemente ist und nicht so sehr grübelnde Selbstbeschau des Komponisten. Ebenso verfährt Järvi am Ende mit Hindemiths „Symphonischen Metamorphosen“, die die DSO-Musiker mit unerbittlich heiterer Kraft aufs Podium setzen. Nur beim Schlussapplaus schaut Paavo Järvi grimmig – als er die Ovationen des Orchesters über sich ergehen lassen muß.
http://www.fr-online.de/kultur/philharmonie--grosser-solisten-abend,1472786,20767100.html

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