Hans Rott: Sinfonie Nr. 1 E-Dur, Suite für Orchester B-Dur

Kulturradio.de
Kai Luehrs-Kaiser 
03.07.2012

Bewertung:

Hans Rott, ein früh Verkrachter, früh Verstummter der Musikgeschichte, war ein Liebling Bruckners, Studienkollege Mahlers und ein Komponist, der (nach der Äußerung Hugo Wolfs) von Johannes Brahms persönlich zur Strecke gebracht wurde. Die E-Dur-Symphonie des 20-jährigen Rott fand die Billigung von Brahms nicht. Ein Diplom wurde ihm ebenso verweigert wie ein Stipendium. Auf der Reise nach Mulhouse, wo er eine Stelle als Chordirigent antreten wollte, drehte Rott durch. Er behauptete, Brahms habe den Zug mit Dynamit präpariert und bedrohte Mitreisende mit einem Revolver. Daraufhin lieferte man ihn in eine Irrenanstalt ein, wo er vier Jahre später starb. Er war 25 Jahre alt.

Heterogen
Neben Rotts Hauptwerk, der Symphonie in E-Dur, tritt in der Neuaufnahme unter Paavo Järvi die Ersteinspielung einer zweisätzigen Orchester-Suite. Diese klingt sehr nach Brahms (mit einem Schuss Dvorak). Die Symphonie dagegen eher nach geläutertem Bruckner. (Rott war zeitweilig Organist an der Piaristenkirche in der Wiener Josefstadt.) Die akademische Sorgfalt der kompositorischen Verarbeitung lässt die Schülerarbeiten durchscheinen. Vor allem sticht die Heterogenität der Symphonie heraus, bei der deutliche Anklänge an Mahler ins Gewicht fallen. Und genau da wird die Sache interessant. Mahler nämlich sah in Rott einen „Genius“ und „Begründer der neuen Symphonie“. Er hat sich von ihm anscheinend stark inspirieren lassen und die Fackel Rotts, dessen Werk ihm bekannt war, obwohl es erst 1989 uraufgeführt wurde, wohl weitertragen wollen. Insofern gebührt der E-Dur-Symphonie eine Seitenrolle in jedem Mahler-Zyklus.

Klangwarm und analytisch
Mit den Vergleichseinspielungen des Werkes unter Leif Segerstam, Dennis Russell Davies und Sebastian Weigle kann die Neudeutung unter Paavo Järvi leicht konkurrieren. Auf Järvis entschlackte und transparente Lesart dürfte sogar die erste Wahl fallen, wenn man auf der Suche nach einer Einspielung ist. Das hr-Sinfonieorchester überzeugt durch hohen technischen Standard (schon seit Eliahu Inbals Zeiten kann das Orchester sein gutes Renommee vertrauen). Die bemerkenswertesten Eigenschaften sind Klangwärme und analytische Farbigkeit. Freilich kommt es bei Paavo Järvi niemals zu jenem Breitenklang und musikalischen ‚Blockdenken’, durch welches die Mittelstellung Rotts zwischen Bruckner und Mahler erst recht deutlich würde. Doch man hört ‚Mahler ante portas’. Und darauf kommt es bei diesem Werk doch an, das, wenn Rott nur weiter hätte komponieren können, vermutlich durch eine spätere Entwicklung gleichfalls in den Hintergrund getreten wäre. Jeder fortgeschrittene Mahler-Fan indes sollte das Werk hören.

Kai Luehrs-Kaiser, kulturradio
http://www.kulturradio.de/rezensionen/cd/2012/hans_rott__sinfonie.html

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