CONCERT REVIEW: Der Neue löst sein Versprechen ein

Paavo Järvi mit dem HR-Sinfonieorchester

Von Axel Zibulski
Wiesbadener Kurier, 12.12.2005

FRANKFURT Welche Schwerpunkte er bei seiner Tätigkeit in Frankfurt setzen will, hat Paavo Järvi bereits bekannt gegeben: Wenn der aus Estland stammende Dirigent in der kommenden Spielzeit die Chefposition beim HR-Sinfonieorchester übernehmen wird, soll nicht nur die deutsch-österreichische Sinfonik, mit besonderem Akzent auf den Werken Gustav Mahlers und Anton Bruckners, verstärkt in den Programmen vertreten sein. Järvi will auch das Zeitgenössische ebenso deutlich berücksichtigt sehen wie die Musik skandinavischer Komponisten.

Beim jüngsten Abonnement-Konzert des HR-Sinfonieorchesters löste er das letzte Versprechen schon einmal ein, indem er in Frankfurts Alter Oper die äußerst selten aufgeführte Sinfonie Nr. 6 des Dänen Carl Nielsen (1865-1931) zum Abschluss seines Gast-Konzerts dirigierte. Ihr Beiname "Sinfonia semplice" täuscht freilich ein wenig, denn "einfach" zu spielen ist die Sinfonie keineswegs. Schließlich reagiert der Komponist hier auf Entwicklungen seines eigenen musikalischen Umfelds: Nur drei Tage vor der Berliner Premiere von Alban Bergs "Wozzeck" wurde Nielsens Sechste 1925 in Kopenhagen uraufgeführt. Ganz sicher kann man sich allerdings nicht sein, ob er hier Anschluss an seine Zeit halten will, indem er zum Beispiel in der bizarren Humoreske des zweiten Satzes Holzbläser und Schlagwerk in einen ruppigen Dialog treten lässt, als ob es ein Stück von Anton Webern wäre. Oder karikiert Nielsen hier eher die Entwicklungen seiner Zeit, samt Anspielungen an die Zwölfton-Technik wie an Strawinsky erinnernde Passagen in den kapriziösen Variationen des Finales?

Ein ambivalentes Werk, dessen Wahl dafür spricht, dass man unter Järvi nicht zuletzt mutige Programmgestaltungen erwarten darf. Und dass dem Frankfurter HR-Orchester bald ein Dirigent vorstehen wird, der selbst bei Nielsen heikelste Einsätze und Rhythmuswechsel mit äußerster Präzision vorgibt, soll dem Vernehmen nach in den Reihen der Orchestermusiker, deren Wunschkandidat Järvi ist, besonders geschätzt werden.

So hatte Järvi nach Anton Webern eingangs gespielten Orchester-Bearbeitung von Bachs "Ricercare a 6" aus dem "Musikalischen Opfer" sogar die exzentrischen Tempo-Variationen des finnischen Pianisten Olli Mustonen stets sicher aufgefangen. Denn Mustonen spielte, was er immer spielt. Also sich selbst. Die Stichworte gab dieses Mal Ludwig van Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll op. 37, in jedem Legato-Bogen torpediert von des Künstlers einheitlichem Martellato-Spiel, garantiert frei von organischen Phrasierungen und gekrönt vom gewohnt manierierten Gestikulieren Mustonens am Klavier.

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