CONCERT REVIEW: Schlankheitskur für Bruckner

Schlankheitskur für Bruckner
Von Michael Dellith
Frankfurter Neue Presse, 11.02.2006

Paavo Järvi stellte beim HR-Konzert in der Alten Oper Frankfurt Sinfonien von Arvo Pärt und Anton Bruckner gegenüber.

Es war bereits der zweite Abend in dieser Saison, bei dem der designierte Nachfolger von Hugh Wolff das HR-Sinfonieorchester dirigierte und sich durch seine unprätentiöse Arbeitsweise große Sympathien beim Publikum erwarb. Als besonders attraktiv erwies sich das Programm diesmal nicht nur deshalb, weil der Este Järvi mit Arvo Pärts dritter Sinfonie ein Werk aus seiner Heimat den Frankfurtern vorführte, sondern auch, weil sich bei den dritten Sinfonien von Pärt und Bruckner trotz unterschiedlicher Provenienz viele Gemeinsamkeiten entdecken ließen. Und dass nicht nur, weil beide Tonschöpfungen von tiefer Religiosität geprägt sind. Verblüffend war vielmehr, wie sehr sich bei aller Differenz Pärt und Bruckner in der kompositorischen Vorgehensweise ähneln, im montageartigen Schichten von melodischen und rhythmischen Ebenen etwa. Pärts 1971 entstandene Sinfonie, die durch ihre reduzierte Klangsprache und ihre choralartigen Wendungen archaisch schlicht anmutete, dirigierte Järvi mit großer Ruhe, Konzentration und Klarheit und öffnete damit dem Publikum gleichsam ein Fenster zu unerhörten Sphären. Der solistische Paukenwirbel beispielsweise kam wie aus einer anderen Welt.

Neue Hörerfahrungen konnte man aber auch bei Bruckner machen, dessen Werke oft im Klangbombast ersticken, schwerlastend und bleiern dargeboten werden. Järvi animierte die hochaufmerksamen HR-Musiker zu einem entschlackten, mühelosen Spiel und unterzog Bruckner einer wohltuenden Schlankheitskur: keine ohrenbetäubende Blechbläser-Exzesse, stattdessen tänzerische Beweglichkeit, feinziselierte Strukturen und stringentes Hinsteuern auf Kulminationspunkte. Auch so kann Bruckner seine opiatische Wirkung entfalten – ganz ohne Weihrauch!

© 2003 Frankfurter Neue Presse

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