Interview Bonn Beethovenfest



Paavo Järvi hat das Eröffnungskonzert des Bonner Beethovenfestes dirigiert.
http://www.ksta.de/html/artikel/1218660488077.shtml
September 5, 2008

„Moskau hat sich nicht geändert“
Erstellt 04.09.08, 18:21h, aktualisiert 05.09.08, 00:10h
Der Dirigent Paavo Järvi aus Estland hat soeben beim Bonner Beethovenfest einen starken Auftritt gehabt. Im Interview spricht er über Beethoven und die "teure Lektion Georgien".
KÖLNER STADT-ANZEIGER: Herr Järvi, Sie haben das Eröffnungskonzert des Bonner Beethovenfestes dirigiert - mit einem Programm, das Beethovens neunte Sinfonie mit Schönbergs „Ode an Napoleon“ kombiniert. Was ist die Idee?
PAAVO JÄRVI: Offensichtlich haben beide Werke mit zentralen Menschheitsideen zu tun, mit Humanität, mit Menschenrechten. Und musikalisch ist es ein interessanter Kontrast.
Sie leiten das Cincinnati Symphony Orchestra, das Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen. Das ist doch auch für einen ausgewiesenen Workaholic wie Sie ein bisschen viel.
JÄRVI: Ja, es ist viel. Und mitunter gibt es mit der Logistik Probleme. Aber ich bin halt sehr ungern Gastdirigent. Da kommt man und geht dann wieder, ohne tiefere Spuren hinterlassen zu können. Ich erreiche mit einem eigenen Orchester einfach bessere Ergebnisse. Man bekommt nur so diese enge Verbindung zu, diese intime Vertrautheit mit den Musikern, die ich brauche. Ich kenne dann die Stärken und Schwächen des Orchesters, kann mich selbst ganz anders einbringen und meine Arbeit konzentrieren. Als Gastdirigent läuft man Gefahr, nur Dinge auszubügeln, die der Musikdirektor selbst nicht gerne macht.
Sie stammen aus Estland, einem kleinen Land, das durch einen sagenhaften Ausstoß an musikalischer Exzellenz auffällt - Komponisten, Dirigenten, Solisten. Wie das?
JÄRVI: Ja, wir haben nur eine Million Leute. Es liegt wohl daran, dass die Musik ein bevorzugtes Medium unserer Selbstaussage ist. Sie hat ja auch wenig Konkurrenz im Land - keine Industrie, keine natürlichen Ressourcen. Unsere kollektive Identitätsbildung läuft sehr stark über die Künste und zumal über die Musik. Das gehört zum Nationalstolz. Stärker als in anderen Ländern werden Musiker bei uns Vorbilder für die junge Generation. Mein Vater z. B., Neeme Järvi, hat einen großen Einfluss auf junge estnische Dirigenten. Es gibt bei uns ja eine sehr enge Verbindung zwischen Komponisten und Dirigenten, die dazu führt, dass die neue Musik schnell distribuiert wird.
Sie selbst haben mit Ihrer Familie Estland 1980, also noch zu Sowjetzeiten, in Richtung USA verlassen und sind heute US-Bürger. Estland ist frei und selbstständig - warum remigrieren Sie nicht?
JÄRVI: Ich habe tatsächlich daran gedacht, besitze ja ein Haus dort. Im Übrigen habe ich nicht nur einen US-, sondern auch einen estnischen Pass - wie alle Mitglieder meiner Familie. Aber ich habe eine internationale Karriere gestartet, muss viel reisen. Die Frage, wo genau man da lebt, ist schwierig zu beantworten. Wichtiger aber ist, dass ich meinen Teil zur kulturellen Entwicklung meines Heimatlands beitrage. Dazu gehört etwa die Unterstützung von musikalischen Erziehungs- und Jugendprojekten.
Die Krise in Georgien scheint darauf hinzudeuten, dass Russland seine harte Hand erneut gegen Westen ausstreckt. Was sagen Sie als Bürger eines Landes dazu, das seine nationale Selbstständigkeit Moskau nach 1990 abringen musste?
JÄRVI: Georgien war eine teure Lektion für alle Völker im früheren sowjetischen Machtbereich. Sie besagt: Auch wenn du souverän geworden bist, darfst du dich nicht zu sicher fühlen. Die sowjetische Mentalität, sie gibt es immer noch. Und besonders ein kleines Land wie Estland muss möglichst viele Alliierte im Westen haben - Europäische Union und Nato. Moskau hatte immer eine imperialistische Attitüde gegenüber seinem Umfeld, und das hat sich nicht geändert. Die georgische Lektion sollte den Westen davor warnen, sich falsche Vorstellungen zu machen. Aber er ist moralisch schwach und hat vor allem Angst davor, irgendwelche militärische Konsequenzen zu ziehen.
Sie spielen derzeit mit der Bremer Kammerphilharmonie die kompletten Beethoven-Sinfonien ein. Warum haben Sie unter Ihren drei Orchestern dafür gerade dieses ausgewählt?
JÄRVI: Ganz einfach: Ich habe mit diesem Orchester vor zehn Jahren erstmals eine Beethoven-Sinfonie gemacht und hatte sofort den Gedanken: Wenn du mal Beethoven-Sinfonien einspielst, dann nur mit ihm. Da stimmt einfach die Chemie. So wie die Bremer das von sich aus machen, entspricht es nahezu vollkommen meiner eigenen Vorstellung von diesen Werken. Sie haben nicht nur ein großes, engagiertes Verständnis für den Stil dieser Musik, sondern eine typische Art, wirklich in die Tiefen der Partitur zu gehen. Das Orchester in Cincinnati ist sehr gut, aber mehr zu Hause in der Romantik und bei den großdimensionierten Werken des 20. Jahrhunderts. Es ist halt ein amerikanisches Orchester mit einer Spielweise, die zu einem anderen Repertoire besser passt.
Warum haben Sie dieses Projekt in Angriff genommen - die Diskografie der Beethoven-Sinfonien ist ja, um es mal so zu sagen, nicht so klein?
JÄRVI: Eine gute Frage. Angesichts des Überangebots gibt es in der Tatkeine Notwendigkeit, überhaupt noch eine Aufnahme zu machen. Es mag verrückt sein, aber in der Tatdenken wir, dass wir, wenn wir jetzt dieses Projekt durchziehen, vielleicht doch noch etwas dazutun, eine persönliche Note einbringen können. Am Ende können ja alle anderen entscheiden, ob ihnen die Neueinspielung etwas sagt.
Aber wo ist er für Sie, der „unentdeckte“ Beethoven, was wollen Sie herausstellen?
JÄRVI: Beethoven ist eigentlich immer unentdeckt, er ist jederzeit neu. Ich habe mir vorgenommen, kritisch auf jedes Detail zu schauen. Ich bin ja in Estland in einer Tradition aufgewachsen, wo es diese neue historische Kritik nicht gab. Ich wuchs auf mit den Aufnahmen von Furtwängler, Bruno Walter, Klemperer und Knappertsbusch. Das hat mich damals geprägt. Mit der Weise, wie ich heute Beethoven höre, hat es nichts zu tun. Dabei ist überhaupt nicht unsere Absicht, Beethoven neu zu erfinden. Wir wollen so weit wie möglich in die Tiefe steigen, den Notentext kritisch analysieren und - wie gesagt - die Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis einbringen. Aber wir nehmen das Wertvolle der gesamten Interpretationsgeschichte auf, wir lassen uns nicht in einen Stall zwängen.
Das Gespräch führte Markus Schwering

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