Bruckner, Anton: Neunte Symphonie


Von Edwin Baumgartner
Wiener Zeitung
12 nov 2009

Möglichst hart und trocken dirigieren ihn die einen, möglichst weihevoll bombastisch die anderen. Hat zu Anton Bruck- ner wirklich niemand mehr etwas zu sagen was neu und sinnvoll ist?

Paavo Järvi ist die aufgehende Sonne am Himmel der jüngeren Dirigenten. In den USA ist er fest etabliert, in Mitteleuropa ist er mittlerweile auch außerhalb der Spezialistenkreise ein Begriff geworden.

Seine Einspielung von Anton Bruckners Neunter Symphonie ist überwältigend. Järvi bedient sich dabei der neuen Partitur-Edition von Benjamin Gunnar Cohrs. Und fast ist man versucht, auch hinter dem Aufbau von Järvis Interpretation die Dramaturgie des Bruckner-Experten Cohrs zu vermuten. Järvi setzt die Themen zueinander in Beziehung, der Kontrapunkt beleuchtet die Hauptstimme, ohne sie zu überwuchern. Die Bruckner-typischen Pausen haben die Funktion von Satzzeichen. Die Choräle klingen massiv und strahlend, sind aber weder durch weihrauchwabernde Weichzeichnung geschwächt noch durch hysterische Übertreibungen neurotisiert.

Dennoch ziehen sich durch dieses erdige Bruckner-Bild die Bruchlinien aus der Kenntnis der Biografie heraus. Järvis Bruckner sucht nach Verwurzelung, ohne sie zu finden. Diese Symphoniedeutung hat etwas Monologisches: Sie betrachtet ihr Thema von allen Seiten, kommt aber zu keinem allgemeingültigen Ende. Die Tragik des Schlusses besteht darin, dass Gelassenheit eintritt, die Gewissheit aber ausbleibt.

Das hr-Sinfonieorchester vollzieht Järvis Gedankengänge beispielhaft mit und steuert einen vollendeten Klang bei, der die Bedeutung dieser Interpretation vervollkommnet.

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