Entdeckungsreise im Norden Europas

op-online.de
18.04.2011

Es müssen nicht immer die üblichen Verdächtigen sein. Paavo Järvi und das hr-Sinfonieorchester nahmen für Werke von Eduard Tubin und Carl Nielsen ein. Und hatten dazu mit dem Norweger Truls Mork den idealen Solisten für das Cellokonzert des Briten Edward Elgar erwählt. Von Klaus Ackermann

Ein Funkkonzert der Besonderheiten in Frankfurts Alter Oper, und daher umso spannender. Wer kennt schon Eduard Tubin, den vor den Sowjets nach Schweden geflohenen estnischen Komponisten, der an tonalen Grenzen eine eigenwillige orchestrale Farbigkeit entwickelte? Seine Landsleute Paavo Järvi und dessen Vater Neeme brechen da kontinuierlich eine Lanze. Von Tubins 11. Sinfonie ist nur der Kopfsatz überliefert, den er wegen seines Krebsleidens nicht orchestrieren konnte, was Kaljo Raid besorgte.

Heftige Kesselpauken-Schläge eröffnen diesen Satz, dessen unruhig treibendes Geigenthema von einem Akkorde-Schwall der Blechbläser überschüttet und von markanten Horn-Einwürfen ausgebremst wird. Heftig rhythmisierte Klarinetten-Girlanden spielen noch dem herben tänzerischen Charakter zu, die vielen klangmalerischen Momente kommen Järvis dynamischer Differenzierungskunst entgegen. Auch in jener zwischen 1920 und 1922 entstandenen 5. Sinfonie des Dänen Carl Nielsen, in der kleine Terz und Quarte zum komplexen Geflecht geknüpft sind.

Wundersame Klanglichkeit in dynamischer Aktion

Die kleine Trommel forciert den Marschcharakter, widersetzt sich indes auch dem Akkorde-Chroma und dem hellen Dur-Finale des Eingangssatzes, noch aus dem Off widerborstige Akzente setzend. Järvi und die spürbar angetanen hr-Sinfoniker schärfen den Blick auf Details diesen ostinaten Klangflusses, auf wie Orgelregister wirkende Blechbläserfarben, auf ein feinnerviges Streicher-Fugato oder eine Art Passacaglia wie in sakraler Sphäre. Das ist wundersame Klanglichkeit in dynamischer Aktion und hält munter. Wie das kunstvoll-kultivierte Spiel des wieder aufs Konzert-Karussell aufgesprungenen Truls Mork in Edward Elgars lyrisch versponnenem Cellokonzert.

Von Anbeginn herrscht ein Hang zum Elegischen, zum Weltfernen, auch in den wie Rezitative anmutenden Soli. Selbst im Scherzo gibt es keinerlei virtuose Schaumschlägerei. Schier drucklos gestrichen, aber weittragend auf dem ehrwürdigen Instrument dann das Adagio, und selbst das tänzerische Finale scheint eher ein versonnener Blick zurück. Geschrieben von einem, der mit der Welt abgeschlossen hat – gespielt von einem, der das Poesievolle liebt. Was die Zugabe, den Satz aus einer Suite für Violoncello solo von Benjamin Britten, zu einer Art Selbstgespräch macht, mit bohrenden Gedanken.

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