Paavo Järvi dirigiert die Staatskapelle: Keine weiteren Fragen

Der Tagesspiegel
Frederik Hanssen
18/11/2014
Immer unterwegs. Paavo Järvi leitet drei Orchester und ist ein vielbeschäftigter Gastdirigent. Foto: Jean Christophe Uhl
Schumann, Mozart, Messiaen: Paavo Järvi leitet die Staatskapelle Berlin in der Philharmonie.
Wie schafft er das bloß? Paavo Järvi ist Chefdirigent des Orchestre de Paris und der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, 2015 kommt noch das NHK Symphony in Tokio dazu. Zwischenzeitlich war er sogar Musikdirektor bei vier sinfonischen Ensembles gleichzeitig. Und natürlich gastiert der 51-jährige Este auch noch bei Spitzenorchestern weltweit, so wie jetzt bei der Berliner Staatskapelle.
Diesen enormen künstlerischen Output schafft man nur mit eiserner Disziplin – und unerschütterlichem Selbstbewusstsein. In der ausverkauften Philharmonie führt Järvi seinen maximal effektiven Dirigierstil vor, ebenso elegant wie zielführend.
Ein transparentes Klangbild erreicht er damit in Schumanns „Frühlingssinfonie“, frei strömt die Musik dahin, bruchlos folgt Satz auf Satz. Fragen scheint der Maestro nicht an diese Partitur zu haben. In seiner Ästhetik des großen Bogens ist eben kein Platz für Momente des Innehaltens oder gar die Suche nach verschatteten Seelenecken.
Ein wenig das Staunen verlernt scheint auch Maria João Pires zu haben, jedenfalls im Klavierkonzert G-Dur KV 453 ihres Lieblingskomponisten Mozart, dessen Werke sie seit vier Jahrzehnten begleiten. So nah ist ihr diese Tonsprache, so vertraut sind ihr die musikalische Grammatik und die rhetorischen Kniffe, dass zwar alles in ausgewogenster Proportion erscheint, souverän und stilsicher klingt, aber eben auch ein interpretatorisches Vakuum entsteht zwischen einstiger Entdeckerfreude und kommender Altersabgeklärtheit.
Viel näher bei sich ist die portugiesische Pianistin in ihrer Zugabe aus Schumanns Waldszenen, dem Charakterstück „Der Vogel als Prophet“, das sie mit großer Zärtlichkeit angeht, dessen harmonischen Entwicklungen sie neugierig nachlauscht. Und auch Paavo Järvi überzeugt am meisten auf wenig betretenem Terrain, mit Oliver Messiaens „Le tombeau resplendissant“, einem Frühwerk von 1933, das noch ganz nach Igor Strawinsky klingt. Vor allem in den aggressiv-treibenden Passagen macht Järvi daraus schönste Art-Déco-Ballettmusik, zu der das innere Auge unwillkürlich wirbelnde Körper assoziiert.

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