So klingt der Frühling (auf Schallplatte)

Schwäbische
Silja Meyer-Zurwelle
05.04.2020


Dirigent Paavo Järvi und Designer Peter Schmidt präsentieren die Vinylausgabe der Schumann-Sinfornien (foto: Julia Baier)


Der ehemalige Häfler Jürgen Winkler arbeitet in Bremen seit Jahren an der Rehabilitierung der Schallplatte. Er spielt Bratsche bei der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, liebt die traditionelle Kultur Japans und wirkte bereits 2009 an der Realisierung einer Langspielplattenbox mit, auf der das Orchester unter Paavo Järvi die neun Beethoven-Sinfonien einspielte. Das jüngste Projekt, das er maßgeblich vorangetrieben hat, ist die Vinylausgabe der Schumann-Sinfonien mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. Beide Veröffentlichungen stoßen auf enorme Resonanz.
Nach seiner Schulzeit in Friedrichshafen, zu der Jürgen Winkler durch den Arbeitsplatz seines Vaters kam, zog es den einerseits mathematisch, andererseits musikinteressierten jungen Häfler nach Tübingen. Dort begann er sein Studium der Fächer Mathematik, Biologie und Geografie. Doch schon während dieses Studiums widmete er der Streichmusik mehr Aufmerksamkeit, als Algebra, Vererbungslehre oder länderkundlichen Arbeiten. Es zog ihn über Dozenten in Tübingen und sein Talent zur Jungen Deutschen Philharmonie, bei der er einige Zeit mitspielte.


Aus dieser Jungen Deutschen Philharmonie hatte sich 1980 ein Kammerorchester gebildet, in dem Musikstudenten zusammen spielten. Ein Auftritt vor der Uno in New York hatte 1983 für Aufsehen gesorgt und vier Jahre später gründete sich in Frankfurt die Deutsche Kammerphilharmonie. Dieses Orchester zog 1992 an die Weser um. Das Orchester arbeitet gewissermaßen basisdemokratisch, die Musiker haben alle das gleiche Mitspracherecht und setzen sich für die unterschiedlichsten Projekte ein.


Die musikalischen Leiter waren seit 1995 Thomas Hengelbrock, zuletzt von 2011 bis 2018 Leiter der NDR-Elbphilharmonie in Hamburg, Daniel Harding, seit 2018 Leiter des Anima Mundi Festivals in Pisa und schließlich Paavo Järvi. Diese Erfolgskombi besteht seit 2004, führte zu vielen international beachteten Projekten und Einspielungen sowie Tourneen durch die ganze Welt.


Jürgen Winkler sieht die Vorzüge der Vinylschallplatte nicht unbedingt als Motor des Projektes, wohl aber als Anreiz. Er liebt das Go-Spiel, die meditative Ruhe alter japanischer Traditionen, warum dann nicht auch die heute bereits zur Zeremonie gewordene Bedienung eines Schallplattenspielers, mit dem Musik ganz bewusst wahrgenommen wird. Ein Mäzen aus Bremen, der jedoch nicht genannt werden will, hat dazu beigetragen, dass die Produktion der Beethoven-Edition auf neun Schallplatten in einer hochwertigen Box entstanden ist. Und er war Treiber des Schumann-Zyklus, der in einer von Peter Schmidt entworfenen minimalistischen Acryl-Box erschienen ist. Fünf Langspielplatten und ein umfangreiches Buch im LP-Format stecken zwischen den Acryl-Gläsern. Von dieser Ausgabe gibt es nur 555 Stück, 100 davon sind von Chefdirigent Paavo Järvi selbst signiert. Sowohl die mittlerweile vergriffene Beethoven-Ausgabe, wie auch der Schumann-Zyklus sind hochwertige Sammlerausgaben und überzeugen mit Einspielungen großer Sinfonien durch ein Kammerorchester – und gerade das sorgt für die Begeisterung bei den Zuhörern und den Erfolg der Bremer Musiker.


„Licht senden in die Tiefe des menschlichen Herzens – des Künstlers Beruf!“ das soll Komponist Robert Schumann einmal zum Ziel des Musiker-Daseins erklärt haben. In kaum einem seiner sinfonischen Werke wird dieser Ausspruch jedoch so deutlich, wie in seiner Frühlingssinfonie Nr. 1 in B-Dur. Schwer vorstellbar, dass Schumann die Seele – vor allem zum Ende seines Lebens – so schwer und trüb war, wenn man die Fröhlichkeit dieser Komposition hört.

Unverkennbar ist das majestätische Thema im mit „Andante un poco maestoso - Allegro molto vivace“ bezeichneten ersten Satz für all diejenigen, die diese Sinfonie schon länger kennen – und wer es das erste Mal hört, wird es so schnell nicht wieder vergessen.
Hörner und Trompeten kündigen den Frühling nach den Gedichtzeilen „Im Thale blüht der Frühling auf!" von Adolf Böttger, die Schumann inspiriert haben sollen, ganz ohne Worte, aber mit umso majestätischen Fanfarentönen an. Bei der Bremer Kammerphilharmonie hat schon dieser Anfang die perfekte Mischung aus einem hellen Bläser-Klang, der jedoch nicht der Versuchung nachgeht, ins Spitze abzudriften, und weicher, federnder Leichtigkeit. Zu viel verraten diese Takte dennoch nicht. Das Tempo bleibt unter Führung von Paavo Järvi gehalten, hier gibt es keine Ausreißer und niemand ahnt, welch’ sprudelnde Lebensfreude sich aus diesem Beginn noch entspannen wird.


Denn zunächst tut es der Rest des Orchesters den Solobläsern gleich und hier offenbart sich die Kammerphilharmonie als unglaublicher Klangkörper: geradezu saftig, aber nicht schwammig, entfaltet sich das Orchester wie ein einziges Instrument und badet in diesen ersten B-Dur-Akkorden. Einem Sonnenaufgang gleichend bilden die Streicher in den folgenden Takten einen glitzernden Teppich für die Holzbläser, die das Thema in sanfter Linie weiterspinnen.


Hier gefällt besonders, dass Järvi den Atem hat, dem Orchester und dem Ohr des Zuhörers Zeit für die Tonartwechsel zu geben. Fast schon kehrt Ruhe ein, doch schon kurbelt der Dirigent die Dynamik wieder an, winden sich die unter einem Bogen, also im Legato, gespielten Achtelketten durch die Streichergruppen wie aus einem Guss bis sie, erneut geführt von den Blechbläsern, im munteren Hauptteil dieses ersten Satzes münden. Mit perfekt abgestimmten Sechzehntel-Läufen, die hier unisono von den Streichern gespielt werden, bekommt die Aufnahme der Kammerphilharmonie nicht nur eine unglaubliche Frische – die Interpretation des Orchesters und seines Dirigenten verzichtet auch auf jegliche Stolperfallen, die dieses Stück sonst gerne birgt. Verspielt, mitunter stürmisch, aber nie überstürzt funktioniert die Kammerphilharmonie im besten Sinne nicht wie eine Menge einzelner Musiker, sondern klingt nach einem unglaublich homogenen Kollektiv.


Zwischen aller Aufregung in der Musik, allem Erwachen, das so gut zum Titel der Frühlingssinfonie passt, beweist das Orchester die Fähigkeit zum Malen der schönsten Klangfarben – ob in den weichen Themen der Flöten oder den sanften Streicher-Cantilenen. Das Orchester kostet diese Momente hörbar aus, zeigt seinen vielseitigen Charakter.


Dann stürzen sich Järvi und seine Musiker in eine feierlich-selbstbewusst klingende Coda, den Schluss des Stückes, als wollten sie die lebensbejahende Botschaft dieses ersten Satzes noch einmal besiegeln. Diese Einspielung macht definitiv Lust auf mehr und wer – um es mit Schumanns Worten zu sagen – „etwas Licht für sein Herz“ sucht, sollte sie unbedingt anhören: So klingt der Frühling!



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