Selig sind, die da Leid tragen



Von Harald Budweg

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Stark wie eh und je: das hr-Sinfonieorchester.

11. Oktober 2009 Wenn ein Jubilar sein 80. Lebensjahr vollendet, sich als rüstig erweist und noch Lebensfreude ausstrahlt, so dürfte dies ein Grund zum Feiern sein. Das hr-Sinfonieorchester hat sein Abonnementprogramm in der Alten Oper gerade in den Dienst seines 80-Jahre-Jubiläums gestellt. Auch wenn der Name dieses Ensembles im Lauf seiner Geschichte immer wieder wechselte: Der Klangkörper wurde im Oktober 1929 gegründet und erlebt heute vielleicht seine künstlerisch prägnanteste Blütezeit, die von 1974 an dank harter Arbeit vom damaligen Chefdirigenten Eliahu Inbal vorbereitet wurde. Dessen Nachfolger Dmitri Kitajenko und Hugh Wolff verstanden sehr wohl, daran anzuknüpfen und diese Qualität konsequent weiterzuentwickeln.

Dass es für den heutigen Chef Paavo Järvi eine Freude ist, mit den Musikern des Rundfunkorchesters zu arbeiten, hat dieser schon öfter betont. Das „Freitagskonzert“ zum Jubiläum zeugte davon, auch wenn es zunächst seltsam anmuten mochte, diesen Feiertag ausgerechnet mit einem so besinnlichen Werk wie Brahms’ „Ein deutsches Requiem“ zu begehen. Andererseits: Es bedarf keiner zirzensischen Aktionen, wenn man sich seiner Qualität bewusst ist. Järvis besonderes Interesse für Brahms hatte sich schon in seinen Interpretationen der Sinfonien manifestiert, und es besteht kein Zweifel, dass auch dieses Chorwerk für seine Interpreten anspruchsvolle Aufgaben bereithält.

Keine 50 Kehlen

Paavo Järvi und dem hr-Sinfonieorchester ist eine exemplarisch zu nennende Interpretation gelungen: Eine minutiös ausgefeilte Dynamik und eine wohlproportionierte Klangregie waren deutlich erkennbare Merkmale einer intensiven Beschäftigung mit dem Werk. Das größte Ereignis des Abends war jedoch die Leistung des vorzüglich intonierenden Schwedischen Rundfunkchors: Nicht einmal 50 Kehlen stark, lässt diese handverlesene Singgemeinschaft an Ausdruckskraft nichts vermissen, doch noch erstaunlicher wirken die substanzreichen, im Legato blitzsauber ausgesungenen Pianissimi. Die kontrapunktisch kunstvollen Chorpassagen des Requiems erklangen vorbildlich transparent. Etwas weniger homogen wirkten die solistischen Partien: Ludovic Téziers Stimmtechnik befähigt den Bariton zu melosgetränkten Passagen von überwältigender Schönheit. Im Gegensatz hierzu wäre das Herzstück des Requiems, das Sopransolo „Ihr habt nun Traurigkeit“ in der Interpretation von Natalie Dessay, etwas inniger und ruhevoller, vor allem mit weniger Vibrato vorstellbar gewesen. Andererseits beeindruckte die Sängerin mit ihrer Fähigkeit, ihre Phrasierungen selbst in höchster Höhe ausdrucksvoll zu nuancieren.

Ein wenig bekanntes Jugendwerk von Olivier Messiaen hatte Järvi dem Brahms-Requiem vorangestellt: „Le tombeau resplendissant“ (1931). Der Komponist hat später zu diesem Stück Abstand gehalten, hat sich kaum jemals um eine Drucklegung oder Schallplattenaufnahme bemüht. Die Musik zeigt einige Merkmale seines späteren Personalstils, offenbart sich dabei jedoch als ungehemmt expressiv und enthält durch Hinzufügung eines mottoartigen Gedichts eine biographische Zutat, die Messiaen später womöglich unangenehm berührte. Was hat dieses Stück mit Brahms’ Requiem zu tun? Wenig, doch in Messiaens Gedicht erscheint kurz vor Schluss die Zeile „Selig sind, die da Leid tragen“. Mit diesen Worten beginnt auch das Werk von Brahms.

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