Paavo Järvi dirigiert seine Musiker auf den Hexensabbat


Morgenpost.de
Felix Stephan
12.11.2015

Orchestre de Paris gastiert mit Cellostar Sol Gabetta in Berlin
Es gibt sie noch, die guten alten Repertoire-Klischees: Wenn ein deutsches Orchester ins Ausland reist, nimmt es Werke von Beethoven mit. Wenn dagegen ein französisches Orchester nach Deutschland kommt, hat es mit hoher Wahrscheinlichkeit Berlioz' "Symphonie fantastique" im Gepäck. Kaum verwunderlich also, dass nun schon der zweite französische Klangkörper innerhalb eines Jahres mit genau diesem Meisterwerk in Berlin gastiert – nach dem Orchestre Philharmonique de Radio France im März folgt jetzt das Orchestre de Paris unter seinem Musikdirektor Paavo Järvi. Es ist die letzte Saison des viel beschäftigten estnischen Dirigenten bei den Parisern. Gewissermaßen zum Abschied touren sie durch Europa. Und um es gleich vorwegzunehmen:

Es wird ein besonderer Abend in der Philharmonie. Ein Abend, an dem man sich an der "Symphonie fantastique" op. 14 kaum satthören kann. Beinahe sportlich nimmt Järvi den Kopfsatz, flexibel federt er im nachfolgenden Walzer. Je nach Bedarf klingen die Streicher mal seidig, mal brillant. Sehr wandlungsfähig auch die Holzbläser: von verführerisch schwebend bis erdig dunkel. Zum Ende des dritten Satz erhöht Järvi die Spannung beträchtlich. Statt Schlankheit und Wendigkeit fordert er nun zunehmende geräuschhafte Expressivität. Erstaunlich gesittet lässt er die Musiker allerdings zum Schafott marschieren. Von ortsansässigen Orchestern ist man da in der Philharmonie ganz andere Lautstärken gewohnt. Eines ist gewiss: Järvi gehört nicht zu jenen Dirigenten, die sich sichtbar verausgaben und im Schweiße ihres Angesichts von der Bühne wanken. Seine Körpersprache wirkt kontrolliert, seine Bewegungen demonstrieren Überblick und Souveränität. Die Pariser bleiben unter Järvi stets seriös und publikumsfreundlich – trotz heftiger Hexensabbat-Effekte, trotz grunzender Blechbläser und keifender Streicher.

Vergleichsweise harmlos mutet Berlioz' hierzulande eher unbekannte Konzertouvertüre "Le corsaire" ganz zu Beginn des Abends an. Schwungvoll, doch ohne wirkliches Risiko nimmt Järvi die waghalsigen ersten Takte. Gepflegt und kultiviert geht er über so manch überraschende harmonische Wendung hinweg. Umso überzeugender gelingt ihm Saint-Saëns a-Moll-Cellokonzert op. 33. Gentleman Järvi rollt Solistin Sol Gabetta weiche Teppiche aus, fordert Leichtigkeit und Intimität vom Orchester. Er schenkt der Argentinierin viel Raum zur Entfaltung. Und den nutzt die 34-Jährige vorbildlich: mittels sinnlicher Eleganz, unerschöpflichen Farben und energischen Akzenten.

Um eine Zugabe muss das Publikum danach nicht lange bitten. Denn Sol Gabetta und Paavo Järvi nehmen schnell wieder ihre Plätze ein, um Gabriel Faurés bittersüße Elégie op. 24 folgen zu lassen. Und auch hier übt sich das Orchestre de Paris wieder in höflicher Zurückhaltung, zeigt sich Järvi als äußerst feinfühlender Begleiter.

(Felix Stephan)

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