Übermaß an eigenen Ideen


kreiszeitung.de
24.10.2016

Lang Lang gastiert bei der Deutschen Kammerphilharmonie


Bremen - Von Ute Schalz-Laurenze. Nikolaus Harnoncourt hat zu dem chinesischen Starpianisten Lang Lang und den Musikern der Wiener Philharmoniker nach der viertägigen Einspielung im Frühjahr 2014 zum Abschied gesagt: „Diese vier Tage kriegen einen goldenen Stempel!“ Verwundert war damals diese künstlerische Partnerschaft zur Kenntnis genommen worden, von der Harnoncourt beteuerte, in seinem langen Leben noch niemanden kennengelernt zu haben, der seine Anregungen und Wünsche so schnell und unmittelbar umsetze, noch während er sie ausspreche. Und der junge Pianist empfand die Aufnahmesession als einen viertägigen Meisterkurs und wünschte sich, dass Menschen, die nur eine einzige Mozart-CD besäßen, eben diese wählen sollten.


Vom Wunder der Einspielung von „The Mozart Album“ hat Bremen am vergangenen Wochenende etwas abbekommen: Mit der Deutschen Kammerphiharmonie unter der Leitung von Paavo Järvi spielte Lang Lang bei seinem Debüt bei der Deutschen Kammerphilharmonie das auch damals aufgenommene Konzert c-Moll KV 491. Dass der 34-jährige Lang Lang trotz der rigiden Erziehung seines maßlos ehrgeizigen Vaters keine gedrillte Klaviermarionette mehr ist, wurde einmal mehr deutlich. Lang Lang hat jenseits seiner stupenden Technik eine tiefe Beziehung zur Musik, und er hat ein Übermaß an eigenen Ideen zu Mozarts erstem Moll-Konzert aus dem Jahr 1786.

Er taucht nahezu jedes Element – sei es ein neues Thema, eine winzige Zwischenmelodie, ein charakteristischer Rhythmus oder ein Harmoniewechsel – klanglich in vollkommen neues Licht, so dass der Hörer in eine Vielzahl von Atmosphären und Welten hineingezogen wird. Da erklingt Trauriges, Spielerisches, Tänzerisches, Humorvolles und Düsteres, sogar die Themen selbst taucht dieser Meister von Klangschattierungen in immer neue Welten. Kontemplativ einsam sein Monolog, zugleich aufmerksam im Dialog mit dem Orchester. Einheit stiftet die Deutlichkeit und Präzision der linken Hand. Ob das Mozart ist – darüber kann man streiten. Nicht streiten lässt sich über die so persönliche Annäherung Lang Langs und die gekonnte Konsequenz ihrer Ausführung. Dass Lang Lang sich anhaltend applaudierend an das Orchester wandte, wirkte nicht wie bloße Höflichkeit oder ein Werbegag, sondern echt und wirklich dankbar.

Dann Johannes Brahms regelrecht strahlende 2. Sinfonie in D-Dur, ein Werk des damals 44-jährigen Komponisten, der sich lange nicht traute, nach Beethoven noch eine Sinfonie zu schreiben: Bei einem Spiel derart an der Grenze noch so souverän zu bleiben, dass Transparenz, dramaturgische Disposition, Genauigkeit der Dynamik und der Artikulation stets gesichert bleiben, das ist schon ein kleines Wunder.

Järvis schlankes Brahmsbild, die untergründig brodelnden Vorspannungen, die er herausarbeitet, die verführerische klangschöne Lyrik, die mitreißenden Tempowechsel, die ihm gelingen, die Harmoniewechsel, die in ihren sorgfältigen, fast orgelartigen Registrierungen wirken wie Gänge durch Landschaften einschließlich echoartiger Raumwirkungen. Dann noch die grandios bewältigten Instrumentalsoli, die oft gnadenlos exponiert daher kommen. Das provoziert berechtigte Beifallsstürme nach einem Konzert, in dem als Einleitung Mozarts Ouvertüre zu „Don Giovanni“ erklungen ist. Auch das ein goldener Stempel!

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