Verve, Impetus und Elan mit Steven Isserlis und Paavo Järvi


bachtrack.com
Rolf Kyburz
17/12/2016

Dies war das erste von drei aufeinander folgenden, fast identischen Abonnementskonzerten in der Tonhalle, und trotz einer wenig eingängigen ersten Konzerthälfte war das Risiko für das Tonhalle-Orchester Zürich minimal: mit seiner russischen Herkunft ist Steven Isserlis prädestiniert für eine kompetente und authentische Interpretation des Cellokonzerts von Prokofjew. Mit Paavo Järvi agierte ein kompetenter, verlässlicher und sympathischer Gastdirigent auf dem Podium.



Steven Isserlis
© Kevin Davis

Prokofjews Cellokonzert mag auch bald 80 Jahre nach seiner Uraufführung 1938 oft noch herb, fast abweisend klingen, mir schienen in dieser Aufführung derartige Eindrücke jedoch schon gar nicht aufkommen zu wollen! Schon der erste Satz ist ganz tonal. Wer Prokofjews Klangsprache einmal akzeptiert, findet sich in einer Welt voll von sehr schönen Kantilenen, von oft fast klassischer Heiterkeit, beinahe Abgeklärtheit, zumindest im Adagio-Teil. Der Hörer brauchte für das Werk keine Aufwärmzeit: Steven Isserlis warf sich mit dem eröffnenden Solo gleich mit Verve in seinen Part und das Orchester setzte danach die Gesangslinie fast nahtlos fort. Prokofjew hat dabei so geschickt instrumentiert, dass das häufig im hohen Diskant spielende Solo und die schreitende Begleitung (meist im Fagott) stets hörbar bleiben, selbst da, wo die Violinen die Nebenstimme übernehmen.

Isserlis brachte seine ganze Leidenschaft in den Solopart ein, war sehr emotional auch im Vibrato (das aber in der Dosierung und Frequenz gut zu diesem Werk passte) und äußerst expressiv in den elegischen Segmenten. Sein Instrument glänzte mit einem hell-singenden, sehr ausgeglichenen Ton, problemlos tragend in den leisen Stellen, nie nasal verfärbt. Paavo Järvi dirigierte mit klarer Zeichensprache, hatte das Orchester rhythmisch und dynamisch stets unter Kontrolle. Dennoch ließ er dem Solisten genügend Freiraum und über weite Strecken schienen die Impulse aus dem Solopart zu kommen. Selbst wenn Isserlis orchestrale Segmente mit teils heftigen Kopfbewegungen begleitete, machte er damit dem Dirigenten nicht seine Rolle streitig.

Das Allegro giusto bringt eine stärkere Vermischung des Celloklangs mit dem Orchester, mehr Interaktion; dabei hat dieser Satz neben wunderschön aufblühenden Melodien und klassizistischen Anklängen auch einen Strauss an neckischen Motiven und ist voller Humor: unbegreiflich, dass dieses Konzert bei der Premiere auf Ablehnung stieß! Die Musik ist sehr abwechslungsreich, mit einem fast geflüsterten Mittelteil, con sordino im Solo; das Cello blieb trotzdem immer wahrnehmbar. Daneben enthält der Solo-Part aber extrem virtuose Passagen: passioniert, aus dem Inneren heraus musiziert. Dieser Teil ist äußerst schwierig in der Intonation, wurde aber von Isserlis klaglos gemeistert, soweit technisch möglich.

Der Schlusssatz ist länger als die beiden ersten zusammen, aber dennoch kein Monstrum, sondern eine Folge von vier Variationen, zwei Interludien und einem mehrteiligen Abschluss. Er beginnt mit einem einprägsamen Thema, das zwar ruhig schreitet und doch drängend im Ausdruck bleibt. Die Variationen führen über äußerste Virtuosität (an der Grenze des Artikulierbaren, aber bei Isserlis nicht extrovertiert) und Serenaden-Heiterkeit zu einem Kadenz-artigen Interludium, hier verspielt und unprätentiös interpretiert: der Solist schien fast verträumt den verklingenden Tönen nachzuhorchen. Mit der vierten Variation schwächt sich die Bindung an das Thema, erst recht über die darauffolgende Reminiscenza, hin zur Coda mit dem fulminant-dramatischen Schluss. Faszinierende Musik in einer packenden, intensiven und lebendigen Interpretation! Als Zugabe spielte Steven Isserlis aus den 12 leichten Stücken für Klavier, Op.65 von Prokofjew die Nr.10, den unterhaltsamen Marsch in C-Dur (arrangiert von Gregor Piatigorsky).

Paavo Järvi
© Ixi Chen

Nach der Pause folgte die (halbe) Stunde des Orchesters. Paavo Järvi nahm das Lebhaft des Kopfsatzes der Rheinischen Symphonie wörtlich, dirigierte mit Schwung, eher luzid denn rheinisch-schwerfällig, impulsiv, herzerwärmende Lebenslust und Glück ausstrahlend; die nachdenklichen Momente bleiben episodisch. Zentral, wie oft bei Schumann, war der Glanz der vier Hörner: prachtvoll, aber nie schmetternd. Die Interpretation des Scherzos schien mir erzählerisch-durchsichtig, mit sprechendem Rubato, welches an die Koordinationsfähigkeit und Flexibilität des Orchesters hohe Ansprüche stellte. Der Mittelsatz war detailliert, vermied aber Härten und Übertreibungen (z.B. in den fp-Akzenten), sowie Extreme in Dynamik und Artikulation. Für mich eine gediegene Interpretation im besten Sinne des Wortes, wie schon im Vorgängersatz im ppp entschwindend.

Das nachfolgende Feierlich beginnt schreitend, dominiert vom satten Legato der Hörner und Posaunen, wie eine Trauermusik, mit langgezogenen Melodielinien. Järvi schaffte es hier, in einer langen Steigerung, auch über piano-Passagen hinweg, kontinuierlich Spannung aufzubauen, hin zu einer Serie von Fanfaren, wonach die Musik in Ruhe ausklingt – nur um überzugehen in das flüssige, leichtfüßige Tempo des Finales. Interessant fand ich hier, wie der Dirigent für die zwei p-Akzente kurz bremste, um sogleich wieder zum Originaltempo zurückzukehren. Allgemein nutzte Paavo Järvi ein lebhaftes Rubato, dem das Orchester problemlos folgte: die Musiker ließen sich mitreißen und mittragen.

Ich empfand die Arbeit von Dirigent und Orchester als ausgezeichnet, überzeugend und geschlossen. Gar eine Spitzenleistung?

https://bachtrack.com/de_DE/kritik-tonhalle-orchester-paavo-jaervi-steven-isserlis-prokofjew-schumann-zuerich-dezember-2016

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