Wie Sol Gabetta den Ohren schmeichelt

Weser Kurier

SEBASTIAN LOSKANT

05.05.23

Meistercellistin in Bremen

Die Cellistin spielt in der Glocke Schumann ‑ und die Deutsche Kammerphilharmonie setzt ihr Haydn-Projekt fort

GANZ INTIM MUSIZIERT: Sol Gabetta erfreute in der Glocke unter Paavo Järvis Leitung mit Robert Schumanns Cellokonzert. Ganz intim musiziert: Sol Gabetta erfreute in der Glocke unter Paavo Järvis Leitung mit Robert Schumanns Cellokonzert.


 Bremen. Das Haydn-Projekt der Deutschen Kammerphilharmonie nimmt an Fahrt auf. Zwei der zwölf Londoner Sinfonien, die Joseph Haydn 1791 bis 1795 für seine beiden England-Aufenthalte komponierte, liegen frisch auf CD vor (siehe Infokasten). Zwei weitere – Nr. 93 und Nr. 104, beide in D-Dur – testete das Orchester jetzt im ausverkauften großen Saal der Glocke aus. Mit bestem Erfolg: Als im langsamen Satz der früheren Sinfonie die Streicher in völlige Stille abtauchten und dann die Fagotte unanständig fortissimo ein tiefes C in die Stille röhrten, lachte das Publikum in naiver Freude auf. „Papa Haydn“ macht einfach Spaß.

 

Verführung zum genauen Hinhören

Dirigent Paavo Järvi hat in einem Interview verraten, dass er mit den Aufnahmen Sir Thomas Beechams vom Ende der 1950er-Jahre groß geworden ist: „Diese Interpretationen hatten viel Witz.“ Zwar verwendet Järvi erheblich fehlerfreieres Notenmaterial als Beecham und ist auch historisch informierter, aber den Esprit der alten Platten, die Eleganz der Phrasierung, die dynamischen Feinheiten und eben den Humor bewahrt er sich gern. Allenfalls das Menuett, das mit demonstrativ verzögertem Auftakt als Bauerntanz daherkam, erinnerte an kantigere Kollegen wie Nikolaus Harnoncourt. Ansonsten – von der langsamen, subtil abgetönten Einleitung bis zum flotten Flitzer des Finales – wurde höchst delikat musiziert.

Auch wenn am Mittwoch noch nicht alles perfekt lief (ein Oboensolo missglückte, der verwickelte Kontrapunkt des ersten Satzes klang wenig strukturiert): Järvis Sorgfalt und die Wendigkeit der Kammerphilharmonie verführten zum genauen Hinhören. Das lohnte sich erst recht bei Haydns letzter Sinfonie: Wie da in der Einleitung dreimal aufgetrumpft und dann geseufzt wurde, wie im zügigen Variationssatz (Flötensolo!) immer wieder Generalpausen den Fluss des Themas ausbremsten, ließ sich die Abschiedsstimmung dieses Werks mit Händen greifen. Der vor Energie berstende Schlusssatz wies hingegen schon den Weg zu Beethovens 7. Sinfonie. Großartig! Järvi knüpfte mit der Zugabe, der Tritsch-Tratsch-Polka von Johann Strauß, verschmitzt an die nun gelöstere Stimmung an.

Doch nicht nur Haydn war an diesem Abend Trumpf. Das Zentrum des Konzerts füllte Sol Gabetta ebenso meisterlich aus. Die argentinische Cellistin, die in einem hinreißenden weißen Kleid auftrat, ist kein Kraftpaket auf vier Saiten, sondern eine intime Gestalterin. Ihr sanfter Ton fast ohne jedes Nebengeräusch schmeichelt dem Ohr, Gabetta forciert nicht, sondern setzt auf diskrete Wirkungen. Das bekam Robert Schumanns Cellokonzert op. 129 überaus gut, hier wurde es einmal nicht zum Virtuosenstück „aufgepumpt“. Die Kammerphilharmonie, voran der Solocellist, schmiegte sich Gabettas Vortrag fabelhaft an. In der melancholischen Zugabe – Lenskis Arie aus Peter Tschaikowskys Oper „Eugen Onegin“ – führte die Musikerin die leise, weitbogige Linie fort. Ein Abend, den man sehr erfüllt verließ.

 

ZUR SACHE

Die Haydn-CD

 

Die erste CD des Haydn-Projekts der Deutschen Kammerphilharmonie (Sony, 54 Minuten) enthält – zuvor ausgiebig im Konzertsaal erprobt – die Sinfonien Nr. 101 D-Dur „Die Uhr“ und Nr. 103 Es-Dur „Mit dem Paukenwirbel“. Paavo Järvi kitzelt ihren Witz elegant heraus. Im langsamen Satz der Uhrensinfonie dürfen die Fagotte flott ticken. Dass im Triodes Menuetts der Höhenflug der Flöte ausgeknockt wird, weil die Streicher partout nicht die Harmonie wechseln möchten, wird ebenso deutlich hörbar. Järvi musiziert historisch informiert, aber undogmatisch: Die alte Version des ersten Satzes der „Uhr“ behält er bei, den Paukenwirbel in Nr. 103 reizt er nicht über Gebühr aus. Dafür streicht er das „tönende Schweigen“, den tastenden Charakter der ersten beiden Sätze heraus. Das Finale der Es-Dur-Sinfonie könnte man sich etwas entspannter und weniger paukenlastig vorstellen, aber es hat Feuer. „Wunderbare Sorgfalt und Feinheit“ bescheinigte einst Richard Wagner Haydns späten Sinfonien. Dieses Urteil passt auch auf Järvis Interpretation.


 

Comments

Popular Posts