CD REVIEW: Beethoven Symphonies 3 and 8, DKAM

From Deutchland Radio:

Aufklärend und betörend
Paavo Järvi und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen spielen Beethoven
Von Ludwig Rink, 05.11.2006

Beethovens Sinfonien zu spielen oder zu dirigieren gehört auch heute noch zum Alltagsgeschäft jedes Orchesters und Dirigenten. Wer diese 9 Standard-Werke allerdings via Tonträger weitesten Hörerkreisen präsentieren und sie so für eine gewisse Ewigkeit konservieren möchte, sollte schon besonders gut sein und überdies auch möglichst noch ein schlüssiges Interpretationskonzept haben.

Denn ob traditionelle Dirigenten-Größen wie Furtwängler, Toscanini oder Karajan oder die jüngeren, zum großen Teil aber auch schon mit "Sir" geadelten Verfechter einer historischen Aufführungspraxis wie Gardiner, Norrington oder Harnoncourt - sie alle haben ihren Beethoven zum Teil sogar mehrfach auf Vinyl oder CD gebannt. Jetzt schickt sich die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen an, beim Label RCA pro Jahr zwei bis drei Sinfonien herauszubringen und so bis 2009 alle Neune beisammen zu haben. Den Anfang machte man jetzt im Oktober mit den Sinfonien 3 und 8, und schon gleich die ersten Minuten der "Eroica" genannten 3. Sinfonie lassen aufhorchen.

* Musikbeispiel: Ludwig van Beethoven - 1. Satz, Anfang (Ausschnitt) aus: Sinfonie Nr. 3

Gefesselt lauscht man dem wohlvertrauten und doch neuen musikalischen Geschehen, gespannt darauf, wie der nächste Abschnitt der Partitur umgesetzt wird, man will gar nicht mehr aufhören, die Sichtweise der Deutschen Kammerphilharmonie mit den Klängen im Kopf zu vergleichen. Es ist ein subtiles Hör-Abenteuer ganz besonderer Art, aufklärend und betörend zugleich. Hier spielt, ganz klar, ein Orchester mit großer Erfahrung in historischer Aufführungspraxis, aber dennoch ohne alles Akademische. Vielmehr scheint das musikalische Material der Sinfonie allen Musikern so vertraut, dass sie geradezu spielerisch, fast wie im Augenblick improvisiert damit umgehen können. Weitab von jeglichen spieltechnischen Problemen kann man sich befreit den Klangfarben, der Dynamik, der Gestaltung der großen Form, kurz: der Musik widmen.

* Musikbeispiel: Ludwig van Beethoven - Ausschnitt 2. Satz "Marcia funebre" aus: Sinfonie Nr. 3

Die deutsche Kammerphilharmonie ist inzwischen gut 25 Jahre alt und hat seit 1992 ihren Sitz in der Freien Hansestadt Bremen. Heinrich Schiff, Jiri Belohlávek und Thomas Hengelbrock waren ständige Erste Gastdirigenten bzw. Künstlerische Leiter des Orchesters. Sehr erfolgreich war auch die Zusammenarbeit mit Daniel Harding, der von 1999 bis 2003 als Musikalischer Direktor an der Spitze des Klangkörpers stand. Die Deutsche Kammerphilharmonie war und ist ein junges, hoch motiviertes Ensemble. Das liegt unter anderem an ihrer Organisationsform, denn sie ist ein Unternehmen, in dem die Musiker alleinige Gesellschafter sind. Das heißt: sie tragen auch das wirtschaftliche Risiko, spielen gewissermaßen um ihr Leben und entscheiden gemeinsam über alle Belange der Arbeit. So entwickelten sie nicht nur ihren einzigartig-frischen Interpretationsstil, sondern dachten sich auch immer wieder ganz besondere Programme zwischen Barock und Moderne aus, überschritten die Grenzen der Genres und bauten mit international anerkannten Solisten und Dirigenten langjährige Freundschaften auf, mit Sabine Meyer, Viktoria Mullova, Olli Mustonen, Hélène Grimaud, Christian Tetzlaff, Hilary Hahn; mit Ton Koopman, Trevor Pinnock oder Marc Minkowski. Der aus Estland stammende Paavo Järvi wurde 1995 erstmals als Dirigent eingeladen; seit 2004 ist er künstlerischer Leiter der Deutschen Kammerphilharmonie. Und er ist der Mann, mit dem das Orchester sein Beethoven-Projekt entwickelt hat. Bei der 8. Sinfonie faszinieren ihn Vitalität und rhythmische Besonderheiten. Hier, sagt Järvi, "nimmt Beethoven einfach das was jeder kennt, und stellt es in ein anderes Licht, nimmt alles auseinander, stellt alles auf den Kopf - und zwar so, als würde er sich fast lustig machen über die traditionelle Form der Sinfonie... Es ist keine vulgäre Parodie, aber es steckt darin eine Menge ziemlich zweifelhaften Humors - und das liebe ich!"

* Musikbeispiel: Ludwig van Beethoven - Ausschnitt aus dem 1. Satz aus: Sinfonie Nr. 8

Was hier im ersten Satz der 8. Sinfonie Beethovens so scheinbar mühelos und wunderbar transparent klingt, ist zum einen Teil kluges Kalkül und klangliche Planung: Die deutsche Kammerphilharmonie spielt mit relativ kleinem Streicherapparat auf der Basis von acht ersten Geigen. Das verschiebt die Klangbalance etwas zugunsten der nun deutlicher wahrnehmbaren Bläser. Es werden neue und alte Instrumente kombiniert, die Kontrabässe zum Beispiel haben sich entschieden, Darmsaiten aufzuziehen, die Trompeter spielen auf alten Naturtrompeten ohne Ventile und die Pauken sind nicht mit Plastik, sondern mit Kalbshaut bespannt und werden zudem mit Holzschlegeln und nicht mit Filz gespielt. All das macht den Klang zusätzlich prägnanter. Zum anderen ist diese außergewöhnliche Einspielung aber auch Folge harter Arbeit und einer Proben- und Aufnahmestrategie, die früher üblich, heute aus finanziellen Gründen aber leider immer seltener geworden ist: Nach ausführlichen Proben geht man auf Tournee, spielt die Werke wieder und wieder im Konzert, feilt dazwischen noch hie und da und geht schließlich noch mit jeder Sinfonie für mehrere Tage ins Aufnahmestudio. Ja, diese neuen Beethoven-Sinfonien sind erstmals wieder echte Studio-Produktionen - das musste früher nicht betont werden, stellt aber heute, wo CD-Neuveröffentlichungen im Bereich der Sinfonik meist auf Konzertmitschnitten basieren, die Ausnahme da. Möglich wurde das, man muss es einmal erwähnen, nicht durch Fördermittel aus öffentlichen Töpfen oder Gebührengeldern, sondern durch Sponsoren und vorbildliches privates bremisch-hanseatisches Mäzenatentum.

* Musikbeispiel: Ludwig van Beethoven - letzter Satz: Ausschnitt (Schluss) aus: Sinfonie Nr. 3

Beethoven - Sinfonien Nr. 3 & 8
Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
Paavo Järvi
Label: RCA
Labelcode: LC 00316
Bestellnr.: 88697 00655 2

Comments

Popular Posts