An article from Bonn: CD review and concert announcement.

August 18/19, 2007
Ganz auf Risiko

Beim Beethovenfest zu Gast: Der Dirigent Paavo Järvi

BEETHOVENFEST Paavo Järvi und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen bringen zum Festival eine neue Beethoven-Einspielung mit
Von Ursula Böhmer

Erst dachte er, sein Schallplattenspieler funktioniere nicht mehr richtig. Paavo Järvi war schockiert, als er in den 80er Jahren die Beethoven- Sinfonien hörte, mit denen Roger Norrington und die London Classical Players in der Rezeptionsgeschichte eine kleine Revolution auslösten. Zugleich war Järvi fasziniert von Tempowahl, Phrasierung, schroffem Klang. Er forschte nach, verglich, liest seither Partituren immer wieder neu, sucht sich seinen eigenen Weg. Järvis Beethoven ist Individualist – und Kosmopolit. Überall und ewig gültig, weil er (allzu) menschliche Eigenschaften hat: Unnachgiebig, schroff, brutal, sanft, anschmiegsam, elegant, graziös, herzlich, warm. Nachdem Järvi und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen – sie sind bei den Beethovenfesten in Bonn vorzugsweise für die Beethoven-Sinfonien zuständig – schon in den Einspielungen der 3. und 8. Sinfonie einem individuellen Beethoven-Klang nachgespürt haben, setzen sie diese Arbeit nun mit der 4. und 7. Sinfonie fort: mit erneut unerhört präziser, nuancierter Klangfarbenmalerei,in der sie risikofreudig an ihre dynamischen Grenzen gehen. Fahl, nebelverhangen ist die Adagio-Einleitung zur 4. Sinfonie. Eine im vibratolosen Piano schwelende Geheimniskrämerei, aus der sich im Allegro-Teil schließlich der furiose Schlagabtausch aus Tutti- Einschüben, knackigen Staccato- Läufen, spannungsvollem Streicherflirren, herrlichen Legatokantilenen entwickelt. Es folgen ein schlaftrunken-friedlicher Adagiosatz, ein temperamentvolles Menuett mit grazilem Trioteil und ein geradezu nervenkitzelnder Finalsatz. Für herbe Farbtupfer im sonst modernen Instrumentenklangbild sorgen die historisch nachgebaute Pauke, Hörner und Trompeten. Dass Paavo Järvi mit der 7. Sinfonie, vor allem dem letzten Satz, nicht gleich so warm wurde wie mit den übrigen Sinfonien, wie er im Interview äußert – davon hört man hier nichts. Famos die Idee, den Anfangsakkord des Totenmarschs an den ersten Satz dranzuhängen und damit eine Art musikalischen Gedankenstrich zu setzen, der die ersten beiden Sätze zusammenfasst. Hier folgen sie sozusagen Beethovens im ersten Satz noch fröhlich tänzerischen Gedanken, die sich im Allegretto tragisch verfinstern. Worüber sich Beethoven allerdings den Kopf zerbricht, wird auf immer unklar bleiben. Ob’s wirklich, wie im Booklet zur CD nahegelegt wird, die Beziehung zur „unsterblichen Geliebten“ ist, an die er 1812, zur Entstehungszeit der Sinfonie, seine berühmten Briefe geschrieben hat, sei dahingestellt. Der Finalsatz wird zum überschwänglichen Galopp. Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen artikuliert in den fast manischen Töne-Repetitionen klar, bewahrt Ruhe. „Sie verstehen Beethovens Stil nicht nur vom musikwissenschaftlichen Standpunkt aus, sondern von innen heraus. Diese Art der Identifikation macht letztlich den Unterschied aus“, sagt Paavo Järvi über sein Orchester. Man könnte es auch, etwas frei, mit Beethovens Erben Johannes Brahms ausdrücken: In seinen Tönen sprechen sie. Deutsche Kammerphilharmonie/ Paavo Järvi: Beethoven – Sinfonien Nr. 4 und 7. Im Handel ab dem 31. August. Erhältlich ist die CD vorab beim Konzert der Kammerphilharmonie Bremen am Sonntag, 26. August, 20 Uhr, in der Beethovenhalle. Es gibt ein reines Beethoven-Programm: die Ouvertüre zu „Die Weihe des Hauses“, das Violinkonzert in der Fassung für Klavier und Orchester und die 6. Sinfonie. Solist ist Olli Mustonen.

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