Ein Gewitter zieht auf

25. September 2010 | Von Christian Knatz
Echo Online

Konzert: Komponist Beat Furrer und das HR-Sinfonieorchester bringen magische Momente in die Alte Oper Frankfurt
FRANKFURT.


»Tsunamis« durfte das Stück nicht mehr heißen. Beat Furrer, sein Schöpfer, hat es schon vor über 20 Jahren umbenannt, lange vor dem Schreckens-Szenario im Indischen Ozean Ende 2004. Was da vom HR-Sinfonieorchester in der Alten Oper unter dem Titel »Chiaroscuro - für R.H.R.« vorgestellt wird, klingt auch gar nicht nach Katastrophe, nicht mal nach großem Unwetter. Ein Gewitter scheint aber aufzuziehen.

Zwischen den Polen, die ein grummelndes Klavier und Gewisper der Streicher markieren, spielt sich eine Unmenge von Andeutungen und Geschehnissen ab - mit einem Zug ins Bedrohliche. Allen Klangverschärfungen und erregten Bläser-Zwischenrufen zum Trotz kommt es aber nie zum Ausbruch.

Dass es für den zehnminütigen magischen Moment keinen tosenden Beifall gibt, muss Furrer nicht grämen. Dass überhaupt so viele gekommen sind zu dieser Veranstaltung, die außer dem Violinkonzert von Johannes Brahms nichts aus dem Baukasten für gut verkäufliche Konzerte aufbietet, ist schon ein gutes Zeichen.

Fünf Veranstaltungen in der Alten Oper sind dem 1954 geborenen Wahl-Österreicher in diesem Monat ganz oder teilweise gewidmet; Einstudierung und Leitung seiner eigenen Werke übernimmt er im Einzelnen selbst. Das alles reicht gerade aus, um Bedeutung und Entwicklung eines Musikers herauszustreichen, der auch als Gründer des Neue-Musik-Laboratoriums »Klangforum Wien« Impulsgeber einer Szene geworden ist. Wenn nicht alles täuscht, ist Furrer mit seiner fordernden, aber nicht anstrengenden, im besten Sinne dramatischen Musik auf dem Weg zum Klassiker der Moderne.

Stücke wie »Chiaroscuro - Für R.H.R.« können jedoch ihre irisierende Wirkung nur entfalten, wenn sie dermaßen konzentriert und behutsam dargeboten werden wie vom HR-Sinfonieorchester und dessen Taktgeber Paavo Järvi.

Mit dem Konzert geht der Este in seine fünfte Saison bei den Frankfurtern, und mit Carl Nielsens dritter Sinfonie scheint er da angekommen zu sein, wo er hingehört. Sein Schneid passt jedenfalls hervorragend zur Schroffheit, die der erste Satz dieser Tonschöpfung aus Dänemark im Übermaß verströmt.

Mit seinem blendend klingenden Orchester beschwört er den Spuk einer Walzer-Paraphrase, schleudert Ketten von Motiven in die Zuhörerschaft, entschweben er und zwei Singstimmen (Camilla Tilling und Michael Nagy) schließlich in höhere Sphären - magische Momente auch das, für die Nielsen aber ein paar Phon mehr braucht als etwa Furrer.

Wie unprätentiös Järvi das Orchester zum - von ein paar Einsätzen abgesehen - nahtlosen Zusammenspiel mit einem Solisten einladen kann, zeigt er im Brahms-Konzert. Das Einvernehmen mit Leonidas Kavakos ist vollkommen, und der Geiger ohnehin eine Klasse für sich: Zur Präzision kommt die makellose Ton-Schönheit seiner Stradivari.

Schnell kommt zwischen den Musikern ein anregendes Gespräch in Gang über ein großes Werk, das mit ganz und gar anderen Mitteln abermals den Zauber entfaltet, der auch über dem Konzert als Ganzem liegt.


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