Aufregender Beethoven in Bonn und Köln

Von Bernhard Hartmann
22 November 2010
General Anzeiger

Kölner Philharmonie. Eigentlich könnten Paavo Järvi und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen es gelassen angehen, wenn sie Beethoven aufführen. Wohl niemand würde es dem 48-jährigen Dirigenten ernstlich verübeln, wenn er es ähnlich handhabte wie der legendäre Hans Knappertsbusch.

Der als Probenmuffel bekannte "Kna" sagte einmal zu Beginn einer Wiener Strauss-Premiere: "Meine Herren, Sie kennen den Rosenkavalier, ich kenne den Rosenkavalier - wir sehen uns bei der Aufführung." Ein solches Verhalten ist Järvi völlig fremd. Auch wenn die neun Beethoven-Sinfonien längst auf CD vorliegen, auch wenn es mittlerweile eine ausführliche DVD-Dokumentation des vom Bonner Beethovenfest aus weltweit live erprobten Beethoven-Projekts gibt, bleibt jede Aufführung einer Beethoven-Sinfonie eine neue Herausforderung.

Und das bedingt immer wieder intensive Probenarbeit, bei der Erreichtes auch gern einmal infrage gestellt wird. Das ist eines der Geheimnisse, warum die vierte Sinfonie Beethovens in der Kölner Philharmonie so frisch wirkte. Keine Spur von Routine im spannungsvollen Adagio-Beginn, keine Spur von Patina im rhythmisch widerborstigen Scherzo, und im rasanten Finale vernahm man ganz viel Spielfreude.

Die zeigte auch der französische Bratschist Antoine Tamestit in dem Konzert für Viola und kleines Orchester von Paul Hindemith, das den hübschen Titel "Der Schwanendreher" trägt und nach einem der volkstümlichen Lieder benannt ist, die der Komponist hier verwendet. Tamestit schlüpfte hier musikalisch in die Rolle des von Hindemith imaginierten mittelalterlichen Spielmanns und verlieh seiner Interpretation eine wunderbare Leichtigkeit, mit der er den volkstümlichen Charakter der durchaus sehr anspruchsvollen Violastimme unterstrich. Und als er zusammen mit Annika Wirths zarten Harfenklängen das Lied "Nun laube, Lindlein, laube" anstimmte, war das zum Niederknien schön.

Sehr effektvoll stellte er seine Virtuosität anschließend in der Hindemith-Zugabe zur Schau. Während das Orchester bei Hindemith auf eine Rumpfbesetzung reduziert war, trat man zu Robert Schumanns "Frühlingssinfonie" in großer Besetzung an. Järvi dirigiert das Werk frei von dem Ballast einer jahrzehntelangen Aufführungstradition, sondern setzte als historisch informierter Musiker bei Schumann unmittelbar an. Mit dem Ergebnis, dass dieses Werk mit seinem jugendlichen Schwung, seiner Poesie und seinem unverbrachten musikalischen Ausdruck wieder ganz nach Aufbruch klang.

Ein grandioser Beitrag zum aktuellen Schumannjahr. Das Publikum bedankte sich stehend dafür und erhielt im Gegenzug die Ungarischen Tänze Nr. 5 und 6 von Brahms als Zugabengeschenk, die allerdings fast schon ein bisschen zu durchgestylt daherkamen. Bernhard Hartmann


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